Phil Sheldon ist ein Fotograf, der seine Bilder der meistbietenden Zeitung zur Verfügung stellt. Wie so viele andere Kollegen hat er den Traum, nach Europa gehen zu können, um dort das große Geld zu machen. Doch wider Erwarten stellt sich der Erfolg auf ganz andere Art und Weise ein. Phil ist einer der Wenigen, die die Vorführung eines Wissenschaftlers besuchen, der eine menschliche Fackel vorstellt. Mit diesem außergewöhnlichen Mann soll sich das Leben der Menschheit ändern, denn es gibt noch viel mehr Mutationen und Superkräfte, mit denen so mancher aufwarten kann. So taucht auch der Sub-Mariner auf, der das Wasser beherrscht und eigentlich im Meer lebt. Phil sieht seine große Chance in der Fotografie der beiden, als sie sich eine fulminante Schlacht liefern.

Damit beginnt für ihn seine Karriere als Superhelden-Fotograf. Fortan ist Phil Sheldon immer dort zu finden, wo die Wesen mit den fantastischen Kräften auftauchen. Dabei weiß niemand so genau, ob sie nun Freunde oder Feinde sind. Viel geht zu Bruch und es kostete bereits einige Menschenleben, wenn sie gegeneinander kämpften, doch andererseits beschützen sie die Menschen auch. Selbst Bedrohungen aus dem Weltall bekommen die Superhelden unter Kontrolle. Oder ist doch etwas daran, dass Spider-Man einen Menschen umgebracht hat? Wem können die Menschen trauen? Das ist auch die Frage, die Phil sein Leben lang beschäftigt und die seine Ehe mit den zwei Kindern immer schwierig sein lässt, denn er weiß nicht, auf wessen Seite er wirklich steht.

In diesem Comic nennt der Protagonist Phil Sheldon die Superhelden „Marvels“, was so viel bedeutet wie „Wunder“ und diesem außergewöhnlichen Band seinen Namen gegeben hat. Das Besondere an der Erzählung ist, dass wir nicht eine typische Episode im Leben eines Superhelden verfolgen, der mal wieder die Welt rettet, sondern die Welt so sehen, wie wir sie kennen. Und plötzlich sind sie da, diese Wesen, von denen man gar nichts genaues weiß und von denen niemand so recht weiß, auf welcher Seite sie überhaupt stehen. Kurt Busiek und Alex Ross werfen einen kritischen Blick auf unsere Gesellschaft und zeigen uns mit diesem Comic, wie es wahrscheinlich wirklich wäre, wenn plötzlich Wesen wie Spider-Man, die Fantastic Four, der Sub-Mariner oder Captain America existieren würden. Die Menschen würden sie nämlich keineswegs ehren, sondern vielmehr Angst vor ihnen haben. Was auch immer sie leisten, wäre für uns schwer nachvollziehbar und deswegen würden wir ihnen immer kritisch begegnen. Die Nachvollziehbarkeit wird vor allen Dingen dadurch erreicht, dass wir das Geschehen aus Sicht eines einfachen Menschen verfolgen, der durch seine Fotos und seine Arbeit trotzdem einen unvoreingenommenen Blick auf das Geschehen hat und das, was er sieht, hinterfragt.

In diesem Band sind alle vier Marvels-Storys vereint, die eine jeweils in sich abgeschlossene Episode erzählen und den Protagonisten in verschiedenen Lebensabschnitten zeigen. So entstehen Zeitsprünge, in denen sich sowohl das Umfeld als auch die Ansicht von Phil Sheldon und sein Leben weiterentwickeln können. Am Ende bekommt man keine „Auflösung“ oder ein „Happy End“ geliefert, sondern eine eigenwillige Stimmung, die zum Nachdenken anregt.

Doch nicht nur die Geschichte selbst, sondern auch ihre Umsetzung ist fantastisch gelungen. Der Zeichner Alex Ross schafft es mühelos, seinen Figuren so viel Leben einzuhauchen, dass sie unglaublich real erscheinen. Den Superhelden fühlt man sich nah und distanziert sich doch von ihnen. „Marvels“ ist kein durchschnittlicher Comic, sondern eine Graphic Novel, die sowohl durch ihre kritische Betrachtungsweise als auch durch die Qualität der Zeichnungen zu überzeugen weiß.