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In der Fernsehsendung
Fröhlich lesen des MDR begegnen sich Ilse Biberti, Autorin des Buches „Hilfe, meine Eltern sind alt“, und Henning Scherf, Autor von „Grau ist Bunt. Was im Alter möglich ist“, zum ersten Mal. Ilse Biberti ist seit beinahe drei Jahren damit beschäftigt, ihre Eltern zu pflegen. Ihr Vater ist schwer demenzkrank und auch ihre Mutter ist nach einem Schlaganfall auf Hilfe angewiesen. Für sie ist die Büchersendung eine willkommene Abwechslung und der offene und herzliche Bremer Ex-Bürgermeister ist ihr auf Anhieb sympathisch. Wieder zu Hause unterbreitet ihre Mutter ihr den Vorschlag, mit „dem roten Lulatsch“, wie er von Bibertis Vater nur genannt wird, ein neues Buch zu veröffentlichen. Nach anfänglichen Bedenken ruft Ilse Biberti bei Henning Scherf an, und obwohl er dem Projekt aus Zeitgründen zunächst eher ablehnend gegenübersteht, erklärt er sich schließlich bereit, für Gespräche zur Verfügung zu stehen. Schreiben müsse das Buch aber Ilse Biberti.
Entstanden ist schließlich das Buch „Das Alter kommt auf meine Weise“, das im Mai 2009 im Südwest Verlag veröffentlicht wurde. Die erste Hälfte des Buches besteht hauptsächlich aus den Schilderungen Bibertis und wie es zu der Zusammenarbeit mit Henning Scherf gekommen ist. Sie schildert außerdem ihr Leben, das beinahe komplett mit der Pflege ihrer Eltern ausgefüllt ist und kaum Zeit für anderes lässt. Nicht nur der erste Teil, aber besonders der erste Teil, zeigt eine emotional aufgeladene Autorin - angesichts der Lebensumstände mehr als verständlich. Dass das allerdings die beste Verfassung ist, um gute Bücher zu schreiben, kann man bezweifeln. Als Leser findet man im Buch Gedanken der Autorin zum Altern, zum Umgang mit dem Alter in unserer Gesellschaft, zu politischen Missständen Altern und Pflege betreffend. Das sind vor allem assoziative Gedanken, die das „Ich“, das da schreibt, ganz stark in den Mittelpunkt rücken. Distanzierte und systematische Gedanken zum Thema Alter und Altern gibt es besonders im ersten Teil kaum, nur ein „Ich“, das geschunden wirkt und ausgelaugt, müde, aber trotzdem erregt.
Als Leser ist es ermüdend, ständig jemandem folgen zu müssen, dessen Gedanken lange Zeit ausschließlich um das eigene Leben kreisen. Die konkrete Ebene des „Ich“ wird im ersten Teil kaum verlassen, das „Ich“ schimpft und brüllt und wendet sich an offizielle Stellen („Koordination im Alter“ in Berlin) und sagt dort: „Gut, ich möchte jetzt einfach Menschen, die uns besuchen.“ Dieses Fordern und Anklagen ist es, was einem mitunter sauer aufstößt und das reflektiertes Denken zuweilen vermissen lässt. Dass es Biberti und ihren Eltern schlecht geht und man in unserer Gesellschaft, in unserem Sozialstaat damit nicht alleine gelassen werden sollte, ist sicher für Betroffene ein Zug, auf den sie gerne aufspringen. Als nicht Betroffener ist man froh, wenn in einem Gespräch Henning Scherf antwortet: „Und du machst das auch ganz toll, dass du darüber redest und sagst: Leute, nun ist aber Schluss mit schönfärben, so, jetzt will ich das benennen. Da bin ich sehr dafür. Aber dann muss man weiterdenken und sagen: Wie kann man dagegen angehen?“ Und auch dass er sagt: „Deine Eltern haben offenbar nicht hingekriegt, dass sie mit den anderen wirklich vertraut im Haus zusammengelebt haben.“
Im Gespräch mit Scherf, das sich auf die zweite Hälfte beschränkt, kann man dann als Leser dazulernen. Hier kann man auch einen Schritt zurücktreten, diese Verteidigungsposition, die Biberti mit ihrem Angriff auslöst, hinter sich lassen und fragen: "Wie geht das, auf gute Weise altern? Wie geht man der Einsamkeit aus dem Weg? Was sollte man beizeiten tun, um am Ende nicht allein dazustehen?"
 Das sind gute Fragen und auch wenn die Antworten nicht immer einfach sind und individuell sicher sehr verschieden, liegt hier der Nutzen des Buches. Allerdings muss man sich dafür zuvor durch die verschlungenen Denk- und Gefühlspfade der Ilse Biberti wühlen, die sicher ganz normale Reaktionen zeigt, die aber nicht für jeden jederzeit lesenswert sind. Ein bisschen mehr Distanz hätte dem Buch und damit dem Leser sicher gut getan, der fühlt sich zuweilen auch etwas unmündig, wenn ihm Sätze, Satzteile oder Wörter zwischendurch fett gedruckt präsentiert werden, wohl um deren Bedeutung hervorzuheben.
Ein Buch von einer Betroffenen für Betroffene, so könnte man das Buch wohl am ehesten beschreiben. Wer sich in einer ähnlichen Situation wie Biberti befindet, kann hier vielleicht Trost finden und Beistand, erkennen, dass andere in ähnlichen Situationen stecken, genauso überfordert und ausgelaugt sind. Dann ist es vielleicht genau das richtige Buch. Wer aber auf der Suche nach einer Art Analyse ist, nach einem systematischen Blick, der wird enttäuscht werden oder sollte einfach die erste Hälfte überspringen und sich direkt in die Gespräche mit Henning Scherf begeben.