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China in den späten 1970er Jahren: Eine junge französische Sinologiestudentin arbeitet als Dolmetscherin auf einer Konferenz, bei der es um die anstehende Verfilmung des Monumentalwerkes „Der letzte Kaiser“ geht. Die namenlose Ich-Erzählerin macht dort die Bekanntschaft des alten chinesischen Gelehrten Tang Li, der die Filmproduzenten vehement beschwört, die Lebensgeschichte von Pu Yi, dem letzten Kaiser von China, wahrheitsgemäß zu verfilmen und nicht so geschönt, wie es das Hollywood-gerechte Drehbuch vorsieht.
Der Alte hat mit seinen Bitten keinen Erfolg, jedoch kommt die Sinologiestudentin mit ihm ins Gespräch. Er erzählt ihr, wie es dazu kam, dass Pu Yi, der bereits mit zwei Jahren zum Thronerben ernannt wurde, einst eine kostbare seidene Sutra-Rolle, auf der die Anfänge des Buddhismus festgehalten sind, bei seiner Entführung von China in die Mandschurei mit den Zähnen in zwei Teile zerriss.
Die Studentin ist verblüfft, hat sie doch auch schon von der Sutrenrolle gehört: Sie hat sich bei ihrem Aufenthalt in Peking in den Gemüsehändler Tumschuk verliebt. Auch Tumschuk und seine Vergangenheit sind eng mit dem verschollenen Fragment der Sutrenrolle verbunden, denn einer seiner Vorfahren war es, der ein Fragment der Rolle fand und dies als göttliches Zeichen ansah.
Die Ich-Erzählerin und der Gemüsehändler sind fortan nicht nur durch ihre leidenschaftliche Liebe und durch spätere Schicksalsschläge verbunden, sondern auch durch die fieberhafte Suche nach dem fehlenden Stück des seidenen Schriftstückes …
In „Wie ein Wanderer in einer mondlosen Nacht“ verbindet der chinesische Schriftsteller Dai Sijie auf mehreren Erzählebenen kunstvoll Liebesgeschichte und Sinnsuche mit der historischen und kulturellen Vergangenheit und Gegenwart Chinas. Man muss von vorneherein sagen, dass dieser Roman viel weniger linear erzählt wird als Sijies vielbeachtetes wunderbares Buch „Balzac und die kleine chinesische Schneiderin“. Die Geschichte wirkt traumhafter, fast ebenso zerrissen und mysteriös wie die Sutrenrolle; der Autor springt von Ereignis zu Ereignis, wechselt Zeit und Ort, lässt aus den letzten Tagen des letzten Kaisers erzählen, schwenkt dann um ins Traumgleiche, wenn die Sinologiestudentin einen visionären Traum über den französischen Forscher Paul d'Ampère – den Vater von Tumschuk - hat, und kehrt wieder zurück in die Gegenwart. Diese Art des Erzählens muss einem durchaus liegen. Zweifellos ist Dai Sijie ein wunderbarer Erzähler, der stets den richtigen Ton trifft und der vor allem in seinen Ausführungen zur Vergangenheit Chinas den Hörer zu fesseln weiß.
Insgesamt wirkt der Roman aber etwas sprunghaft und zerfasert; bisweilen ist es schwer, dem roten Faden zu folgen. Sehr gut gelöst ist die vielschichtige Erzählstruktur in dieser Hörbuchfassung durch die drei Sprecher: Während Svenja Wasser sehr angenehm und unprätentiös die Rolle der Ich-Erzählerin übernimmt, spricht Werner Rehm mit angemessen tiefer Stimme die historischen Schilderungen (man wünscht sich, noch viel mehr über Pu Yis extremes Leben zu erfahren); Patrick Heppt spricht die Ereignisse aus der Sicht von Tumschuk. Die Lesung ist tatsächlich so angenehm vorgetragen, dass man hin und wieder versucht ist, sie wie eine wohlige Hintergrundmusik plätschern zu lassen, dann allerdings verliert man rasch den Faden der doch anspruchsvollen Komposition und muss zurückspulen. Die Schwäche des Hörbuchs gegenüber dem Roman – nämlich, dass man des Öfteren sehr gerne noch einmal zurückblättern würde, um die vielen Namen, Orte und Ereignisse einzuordnen – wird durch die hervorragende Leistung von Skript und Sprechern wieder ausgeglichen.
Fazit: Zart und poetisch erzählt, historisch hochinteressant und sehr angenehm vorgetragen – „Wie ein Wanderer in einer mondlosen Nacht“ ist ein wunderbar erzählter, vielschichtiger Roman, dessen recht lose Erzählstruktur mit vielen Abschweifungen einem allerdings liegen muss. Insofern ist dieses gelungene Hörbuch eher etwas für Liebhaber chinesischer Kultur und Geschichte und für Fans des Autors.