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Israel, 1961: Im Seizling-Institut, einem außerhalb von Tel Aviv gelegenen Sanatorium für traumatisierte Überlebende des Holocaust, leben die Insassen in den grauen Alltag hinein. Seelisch von den Gräueltaten der Nazis gezeichnet, bleibt vielen trotz medizinischer Betreuung und neuen Behandlungsmethoden eine erfolgreiche Rehabilitation verwehrt. Adam Stein (Jeff Goldblum) ist einer von ihnen und doch einzigartig: Der frühere Berliner Varieté-Star, Illusionist und Zirkusclown entläuft gerne mal aus der Anstalt, bunkert trotz striktem Alkoholverbot in jedem Lüftungsschacht des Instituts einen stets gefüllten Flachmann, hält für die Insassen Vorträge über das Drama des Lebens ab und spekuliert für Patienten wie auch für die Institutsleitung gewinnträchtig an der Börse. Dem magischen Charisma des außergewöhnlichen Mannes kann sich niemand entziehen, schon gar nicht die strenge und nach außen emotionslose Krankenschwester Gina Grey (Ayelet Zurer).
Eines Tages entdeckt Adam einen Patienten, der bislang vor ihm verborgen worden ist: ein zwölfjähriger Junge ohne Namen (Tudor Rapiteanu), der von seinem Vater misshandelt wurde – und der sich für einen Hund hält. Der Junge bellt und bewegt sich auf allen Vieren fort. Diese Entdeckung droht Adam innerlich zu zerreißen, ruft sie doch verdrängte Erinnerungen wach: Um die Gräuel in den Konzentrationslagern zu überleben, musste Adam all seine Menschenwürde abwerfen und dem sadistischen Lagerkommandanten Klein (Willem Dafoe) buchstäblich als Hund dienen. Zwischen dem einstigen Varieté-Star und dem Jungen entwickelt sich eine magische Freundschaft …
Filme, die den Holocaust thematisieren, gibt es mittlerweile schon fast wie den sprichwörtlichen Sand am Meer. Die in ihrer Grausamkeit und Unmenschlichkeit unvergleichliche Tragödie des 20. Jahrhunderts entsetzt und fasziniert gleichermaßen das Publikum, fiktive Zugänge in Film und Fernsehen zu diesem kulturellen Rückschritt spielen somit nicht selten eine beachtliche Summe an den Kinokassen ein oder sorgen für ansehnliche Quoten. Doch egal, ob Steven Spielberg die Geschichte des sudetendeutschen Industriellen Oskar Schindler erzählt, Robert Dornhelm den Leidensweg der Anne Frank und ihrer Familie nachzeichnet oder ob wie in „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß“ anhand einer fiktiven Familiengeschichte sämtliche Stationen des Judenhasses von den ersten Pogromen bis zu den Krematorien abgegangen werden – all diese Filme haben eines gemeinsam: In möglichst drastischen und nachwirkenden Bildern soll das menschenverachtende Grauen in den Todeslagern und die unfassbare Selbstverständlichkeit, mit welcher die „Herrenrasse“ sich zum Richter über Leben und Tod aufschwingt, dargestellt werden.
Paul Schrader hebt sich mit seinem Drama „Ein Leben für ein Leben“ – nach der Romanvorlage „Adam Hundesohn“ von Yoram Kaniuk – von der Masse an Holocaustfilmen ab, indem er nicht das Leid der Juden in den Konzentrationslagern nachzeichnen will, sondern sich vielmehr mit der Frage beschäftigt, wie für die Überlebenden des Völkermords das Leben nach dem Krieg weiterging. Mit dem Fall des Dritten Reiches, den Befreiungen der Vernichtungslager und den Nachkriegsprozessen gegen die Koordinatoren des Massenmordes war das Martyrium keineswegs vorbei, wie uns Hollywood oft vorgaukeln will; viele Filme stilisieren das nackte Überleben zum makellosen Happy End hoch und entlassen das Publikum mit einem Gefühl unumstößlicher Zuversicht. Dass dies jedoch nur eine Seite der Medaille ist, darauf will Schrader mit seinem Film hinweisen: Statt durch die düsteren Baracken von Treblinka, Majdanek oder Auschwitz führt die Kamera durch die steril wirkenden, grauen Flure eines mitten in der Wüste gelegenen Sanatoriums, wo die Patienten nicht unter den Augen von Angehörigen der Totenkopf-SS, sondern von zu Emotionen scheinbar unfähigen Pflegern und Krankenschwestern dahinvegetieren. Statt mit zahllosen anderen Gefangenen in einer Baracke zusammengepfercht zu sein, hat jeder Patient des Seizling-Instituts sein eigenes Zimmer; anstelle gekürzter Rationen gibt es warme Mahlzeiten; helfende Medikamente anstelle des tötenden Zyklon B. Dennoch macht sich in den Augen des Zuschauers eine graue Trostlosigkeit breit, angesichts der Narben, welche die „Endlösung“ in die Seelen jener, die mit dem Leben davongekommen sind, geschlagen hat. Traumen und psychische Wunden brandmarken die Insassen als Überlebende des Völkermords; nach dem Judenstern ein weiteres Stigma gesellschaftlicher Isolierung …
Doch wie jedes Holocaustdrama hält auch Schraders Film die Fackel der Hoffnung und Zuversicht hoch – nicht zuletzt durch sein mit Herzlichkeit gezeichnetes Ensemble, das die Flure des Seizling-Instituts bevölkert: Jede Figur ist einzigartig, ihre Marotten sind wie ein Fingerabdruck und machen jeden unverwechselbar. Mit ihren teils verstörenden, teils aber auch herzerwärmenden Eigenarten besitzt jeder Charakter seinen eigenen Charme. Und wenn Rachel ihren Damenbart frisiert, um sich für Adams nächsten Vortrag fein herauszuputzen, Arthur in seine Trompete stößt, um jemanden anzukündigen, oder der traurige Abe an seinem Abschiedsbrief feilt, weil er vor Gott treten will, um ihm ein paar Fragen zu stellen, dann empfindet man nicht einfach nur Mitleid für diese armen Teufel, sondern auch so etwas wie Wärme. Überragt wird der bunte Haufen aber von der Figur des Adam Stein, eine Rolle, in der Jeff Goldblum schauspielerisch unglaubliche Höhen erklimmt: Goldblum bringt die innere Zerrissenheit und den kaleidoskopischen Charakter seiner Figur – vom magischen Varieté-Star über den sarkastisch-verbitterten Trinker bis zum gedemütigten „Hund“ – mit einer solchen Intensität und Echtheit dar, dass es einem fürwahr die Sprache verschlägt. Die heikle Gratwanderung des Films zwischen absurd-groteskem Psychogramm, bitterer Tragikomödie und nachhallendem Mahnruf gegen das Vergessen wird in der Gestalt des Adam Stein anschaulich personifiziert. Dass hier für Goldblum keine Oscar- oder Golden-Globe-Nominierung drinnen war, sollte einem über den Wert solcher Filmpreise zu denken geben …
Gerade sein überragendes schauspielerisches Talent stellt den kniffligen Knackpunkt des Films dar: Goldblum entfaltet sich in seiner Rolle mit einer solchen Energie, dass der Zuschauer mit der unglaublichen Komplexität der Figur zu kämpfen hat. Adams Wandlungen und Gefühlsschwankungen passieren jäh und unvermittelt, so dass man des Öfteren Probleme hat, der Figur folgen zu können und ihre Handlungen nachzuvollziehen. Diese Komplexität wird durch ein Element noch vertieft, das in einen Film mit dieser Thematik einzubauen mutig erscheint: Magie. Damit sind keineswegs Adams Zaubertricks gemeint, mit denen er sein Publikum zum Lachen und Staunen bringt, sondern echte, unerklärliche Phänomene: Er kann kraft seiner Gedanken äußere Blutungen und Wunden hervorrufen, schluckt lebensbedrohliche Mengen an Pillen wie Bonbons hinunter und hat, wie aus einem Gespräch von Pflegern herauskommt, sogar einmal Teile seiner Lunge herausgewürgt. Adam Stein ist eine Figur, die zu keiner Stunde greifbar ist, und wenn man glaubt, seine Motivationen erkannt zu haben, wird man doch nur wieder eines Besseren belehrt. Gerade das macht Schraders Film so faszinierend und befremdend zugleich.
Gleichzeitig beinhaltet „Ein Leben für ein Leben“ gewissermaßen eine schauspielerische Ungleichung von der Unumstößlichkeit einer Weltformel: Ein überwältigender Jeff Goldblum drängt die übrige Besetzung an den Rand, unvermeidlich und konsequent, auch wenn es sich dabei um klangvolle Namen des internationalen Kinos handelt. Am ehesten kann sich Willem Dafoe behaupten, der als menschenverachtender Lagerkommandant zu überzeugen weiß; allerdings muss auch er drehbuchbedingt hinter Goldblum zurücktreten. Enttäuschend ist der gerade einmal ein paar Sekunden währende Auftritt von Veronica Ferres, der aufgesetzt und wie mit allen Mitteln in den Film hineingepresst wirkt, und bei Juliane Köhler wird man das Gefühl nicht los, man habe sie lediglich ihrer Rollen in Filmen wie „Der Untergang“ oder „Aimée & Jaguar“ wegen an Bord geholt. Derek Jacobi gibt dem Institutsleiter ein freundliches Gesicht und Joachim Król spielt den mit Gott hadernden Patienten Abe Wolfowitz eindringlich.
Die deutsche Synchronisation zeigt sich sehr darum bemüht, den Charme und die Magie aus dem Original zu übernehmen. In der Wahl der deutschen Sprecher sind jedoch deutliche Mängel zu erkennen: Jeff Goldblum wird nicht wie gewohnt von Arne Elsholtz gesprochen, sondern von Pierre Peters-Arnolds, wodurch Goldblum im Deutschen viel an Charme einbüßt. Willem Dafoe wiederum wird von Udo Schenk gesprochen, der etwa Gary Oldman des Öfteren seine markante Stimme leiht – eine absolute Fehlentscheidung: Dafoe sollte in der deutschen Synchro wohl zutiefst verachtend und herabwürdigend klingen, wirkt stattdessen aber aufgesetzt und stark bemüht.
Enttäuschend ist das Ende, wenn sich Adam seinen Dämonen aus der Vergangenheit stellt: Es geschieht schnell und bricht stilistisch vollkommen mit dem Film. Die letzte Szene zwischen Adam und seinem „Herrchen“ Klein wirkt plump und etwas hilflos, als habe man nicht so recht gewusst, wie man diese Konfrontation aufziehen soll.
Bild und Ton sind von ansehnlicher Qualität. Die besprochene DVD hält als Bonusinhalte lediglich eine Trailershow bereit; wer einen Heißhunger an Extras zu stillen hat, der kann zur Special Edition mit zwei Discs greifen. Bedauerlich ist, dass sich 3L Film gegen ein Wendecover entschieden hat.
Erschreckend, bewegend, verstörend, befremdlich – Paul Schraders „Ein Leben für ein Leben“ hat ebenso seine Marotten wie seine liebevoll gezeichneten Figuren. Ein Holocaustdrama der anderen Art, dies in jeder Hinsicht und gerade deswegen sehenswert, auch wenn er es dem Zuschauer nie einfach macht.
Ein Wort noch zur Altersfreigabe: Schraders Film ist laut FSK für Jugendliche ab zwölf Jahren geeignet. Diese Entscheidung ist in keinerlei Hinsicht nachzuvollziehen. Explizite Gewaltdarstellungen mögen fehlen, doch das Grauen der Konzentrationslager und Adams Demütigung werden auf einer weitaus subtileren Ebene – und damit nachhaltiger – an den Zuschauer herangetragen. Darüber hinaus ist der Film für Zwölfjährige zu anspruchsvoll, sie könnten nichts aus dem Film mitnehmen. Was bei der Freiwilligen Selbstkontrolle hier wieder außer Kontrolle geraten ist …