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Carver ist es leid: Tao oder Lynch. Teufel oder Beelzebub. Die Wahl könnte nicht entmutigender sein. Der eine kämpft zu seinem privaten Vergnügen gegen jede bestehende Ordnung und mordet wahllos. Der andere steht für das Gute, doch heiligt für ihn der Zweck jedes Mittel - auch wenn es eigene Leute das Leben kostet. Auch Carvers Leben war schon zerstört, bevor er mit dem außerirdischen Artefakt verschmolz und jedes Gefühl verlor.
Verzweifelt versucht er zwischen diesen übermächtigen Kontrahenten nicht zermalmt zu werden. Und ausgerechnet Gretchen ist der einzige Mensch, dem er vertraut. Dieselbe Gretchen, die kotzen muss, wenn etwas schön und normal läuft, die lebt, wenn sie Schmerzen erzeugt und Menschen quält. Doch er hat keine Wahl. Tao scheint ihm zu misstrauen, Lynch nur als Bauernopfer zu sehen. Einzig die vage Hoffnung, dank eines inhaftierten Außerirdischen das Artefakt wieder loszuwerden, lässt Carver einen Plan ersinnen, Lynch und Tao zu täuschen. Doch ist das überhaupt möglich bei zwei Menschen, die allein durch ihre Gedankenkraft jeden Menschen manipulieren können?
Eigentlich wollte Ed Brubaker "Sleeper" nach zwei Alben beenden. Der große Erfolg und die Überredungsküste des Verlags sorgten für eine Fortsetzung. Brubaker nutzte den dritten Band "Die Gretchenfrage" fast ausschließlich dazu, die schwierige Beziehung zwischen Carver und Gretchen auszuloten - als Kniff, die Story wieder in Gang zu bringen, ließ er Lynch einfach aus dem einjährigen Koma erwachen und erneut nach Carver greifen, um Tao endlich zu vernichten.
Band vier widmet sich der Frage, ob Carver zu den Guten oder den Bösen gehört und den beiden Kontrahenten entkommen kann. Und nicht nur das Finale gelingt Brubaker und Phillip großartig, auch die verschiedenen Fallen, die Tao und Lynch sich wechselseitig stellen, gehören zu den besten Einfällen, die die Autoren in der Serie "Sleeper" ersonnen haben.
Fast genial die Konstellation der Handlungsträger, die beinahe an eine komplizierte Schachpartie erinnert. Nicht nur Tao, Lynch und Carver, auch Gretchen und Veronika, die Ex-Frau Carvers, und Peter Grimm erhalten zahlreiche Gelegenheiten zu glänzen und aus dem beinharten Thriller eine düstere Story mit sehr viel mehr Tiefgang zu machen, als es die ersten beiden Bände vermuten ließen.
Existenzielle Fragen werden immer wieder gestellt. Was ist gut, was böse? Heiligt der Zweck die Mittel und hat ein Doppelagent, der für die Guten gemordet hat und nun für die Bösen tötet, eine Zukunft?
Jenseits aller "political correctness" gelingt Brubaker ein absolut überzeugendes Finale, das "Sleeper" zu einem der ganz großen Krimicomics der letzten Jahre macht.
Dank Sean Phillips ist "Das lange Erwachen" auch grafisch herausragend. Allein die massive Gewaltdarstellung, der rüde Ton, die vielen Fäkal- und Gossenausdrücke, die offen sexistische Gesinnung einiger wichtiger Handlungsträger, die obsessive Darstellung von normalem und abwegigen Sexpraktiken lassen die Empfehlung von Cross Cult, diesen Comic erst ab sechzehn zu lesen, sinnvoll erscheinen. Zartere Gemüter sollten vielleicht sogar die ganze Comicserie meiden - Sex, Drogen, Mord, Folter und abgrundtief böse Charaktere gibt es in "Sleeper" zuhauf - da wird sogar jemandem bei lebendigem Leib die Zunge herausgerissen - kein schöner Anblick, fürwahr!
Wer die ersten drei Bände von Sleeper gelesen hat, wird nicht zögern sich den genialen Schluss zu kaufen - er wird mit einer harten und gnadenlos guten Story belohnt. Ohne den Genuss von "Das Schaf im Wolfspelz", "Die Schlinge zieht sich zu" und "Die Gretchenfrage" macht der Kauf von "Das lange Erwachen" allerdings auch überhaupt keinen Sinn.