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Worauf muss man achten, wenn man siamesische Zwillinge aufknüpft? Darauf, zwei Stricke zu verwenden. Das klingt böse, das klingt fies, zynisch, geschmacklos? Wer schon den mitunter politisch inkorrekten Gags in "Verrückt nach Mary" nichts abgewinnen konnte, der sollte erst gar nicht weiterlesen. Allen anderen sei gesagt: Willkommen in der Welt von "Aktion Mutante"!
Wir schreiben das Jahr 2012: Die Welt ist in eine Zweiklassengesellschaft aufgeteilt, in der nur Reichtum und ein makelloses Äußeres zählen. Menschen mit körperlichen oder geistigen Defiziten werden als Außenseiter abgestempelt und sind der Willkür der Fitnesspäpste, Supermodels und Duftwässerchen-Aristokraten ausgeliefert. Doch eine Gruppe militanter Freaks hat sich unter der Führung des entstellten Ramón (Antonio Resines) zur Terrororganisation "Aktion Mutante" zusammengeschlossen und dem Schönheits- und Fitnesswahn den Kampf angesagt. Mit Anschlägen auf Fitnessstudios, Entführungen hoher Würdenträger der Makellosigkeit und anderen blutigen Aktionen rennen sie gegen das System an. Doch in seiner grenzenlosen Intelligenzabsenz hat das Krüppelkommando noch jeden Coup in den Sand gesetzt. Auch die Entführung der reichen Industriellentochter Patricia Orujo (Frédérique Federa) gelingt mehr schlecht als recht. Auf der Flucht versucht Ramón sich seiner schrägen Crew zu entledigen, um sich allein mit dem Lösegeld davonmachen zu können. Stattdessen stürzt das Raumschiff aber auf dem entlegenen Wüstenplaneten Axturias ab, wo es vor verrückten Minenarbeitern und geistig zurückgebliebenen Triebtätern nur so wimmelt. Zu allem Überfluss leidet Patricia auch noch am Stockholm-Syndrom, und ihr faschistischer Vater (Fernando Guillén) macht lieber eigenhändig Jagd auf "Aktion Mutante", als an das Wohl seiner Tochter zu denken. In einer heruntergekommenen Bar kommt es schließlich zum ultimativen Showdown …
1993 zeichnete der spanische Filmemacher Álex de la Iglesia ("The Oxford Murders") in seiner zweiten Produktion "Acción Mutante" eine aberwitzige Dystopie, in der ein perfekter Körper und maßlos hochstilisierte Schönheit das erstrebenswerte gesellschaftliche Ideal darstellen – und nicht zu vergessen: der Reichtum, mit dem der ganze Körperkult finanziert wird. Dieser Gesellschaftsentwurf könnte heute, siebzehn Jahre später, durchaus nachdenklich stimmen: Hungerhaken auf Catwalks werden zum körperlichen Ideal gekrönt, Botox heißt die Droge des neuen Jahrhunderts, und auch Männer legen sich vermehrt unters Messer. Man sollte den gesellschaftskritischen Tenor in De la Iglesias schamlosen Streifen aber nicht überbewerten: "Aktion Mutante" will in erster Linie nicht zur Reflexion über geltende Schönheitsvorstellungen anregen, dafür sind die Gegensätze von Perfektion und Behinderung einfach zu krass überzeichnet; genauso gut könnte man "Hangover" als Hollywoods Appell gegen Komasaufen interpretieren. Stattdessen erhebt "Aktion Mutante" ganz klar und eindeutig den Anspruch, unterhalten zu wollen – auf Kosten der
political correctness.
Denn diese wird nicht einfach nur links liegen gelassen, sondern ein ums andere Mal kielgeholt und gevierteilt. Mit viel pechschwarzem Humor, bitterbösen Gags und schamlos derber Situationskomik entfacht "Aktion Mutante" ein brachiales Trommelfeuer auf das Zwerchfell und spielt mit dem guten Geschmack gerne mal Hau-den-Lukas. Die spanische Anarcho-Splatter-Comedy ist sich um keine Schweinerei und um keinen Tabubruch zu schade, um der politischen Korrektheit eins mit dem Beil überzuziehen. Es genügt allein schon ein Blick auf das kunterbunt zusammengewürfelte titelgebende Krüppelkommando, um sich zu vergewissern, dass so ziemlich jede Form körperlicher oder geistiger Behinderung zum geschmacklosen Handkuss kommt: die siamesischen Zwillinge Alex und Juan, die einander ständig in die Haare kriegen; der beinamputierte Cesar Ravenstein in seinem Schwebesessel, berüchtigt durch sein hochexplosives 5-Kilo-Sprengstoff-Brustimplantat; der taubstumme Hüne Gonzalez, der nachweislich den niedrigsten IQ der Welt besitzt; der 50-fach vorbestrafte Mechaniker José, der ohne Krücken und Schienen nur ein halber Mensch ist; und schließlich der bucklige, zwergwüchsige, homosexuelle Mörder Montero, Jude, Kommunist und Freimaurer. Da wirken der entstellte Anführer Ramón mit seiner schwarzen Ledermaske (die im Übrigen wunderbar mit Smoking und Fliege korrespondiert), die blonde Millionärstochter Patricia mit ihrem Stockholm-Syndrom und deren Vater, der aussieht, als hätte man Francisco Franco in eine SS-Uniform gesteckt, ja beinahe banal …
"Aktion Mutante" nimmt sich selbst nie ernst, der Film überzeichnet, wo er nur kann: Die Gesellschaft, die dem Zuschauer vorgestellt wird, besteht nur aus Bodybuildern, Beauty-Queens und reichen Botox-Priestern auf der einen Seite, aus entstellten Krüppeln, geistig zurückgebliebenen Hünen und sadistischen Triebtätern auf der anderen. Auch die Willkür eines skrupellosen Polizeiapparates, den jede halbwegs ordentliche Dystopie Marke "1984" vorweisen kann, wird augenzwinkernd parodiert, wenn mit heillos übertriebener Polizeigewalt gegen jedes noch so harmlose Vergehen vorgegangen wird. Aufgelockert wird das Ganze mit einer Handvoll Splatterszenen und einem Eimer voll Reminiszenzen an Sci-Fi-Kultfilme, von "RoboCop" über "Terminator" bis hin zu "Mad Max" ist fast alles vertreten, was Rang und Namen hat.
Álex de la Iglesias morbide Freak-Komödie gilt in Fanzirkeln als Kultfilm, mit seinem zutiefst schwarzen Humor, seinen zynisch-derben Späßen und nicht zuletzt seinen übelst schrägen Figuren kann der Streifen schamlos unterhalten – sofern man auf Kosten von Minderheiten lachen kann. Über diese Frage lässt sich bekanntlich streiten, ebenso wie über jene, ob man über Gewalt lachen darf – Stichwort "Funsplatter" –, doch über die Schwächen des Films nicht: So unterhaltsam und kurzweilig "Aktion Mutante" auch sein mag, so hat er doch hier und da seine Längen; keine gravierenden Funkiller, aber stellenweise wirkt der Film in seiner Dynamik etwas grobschlächtig. Ferner lässt der Film trotz seiner schrägen und teils originellen Einfälle viel Potential brachliegen; hier wäre so viel mehr herauszuholen gewesen, dass man von einem Meisterstück der
political incorrectness, von einer grenzgenialen Perle vollkommener Respektlosigkeit hätte sprechen können …
Der Film liegt mit der DVD aus dem Hause Alamode Film nun in einer digital restaurierten Fassung vor. Das Bild weist alters- und technikbedingte Mängel auf – dumpfe Schwarzflächen, stellenweise schwache Schärfewerte –, diese halten sich aber in einem mehr als akzeptablen Rahmen. Der deutsche Ton lässt ein hervorragendes räumliches Klangbild vermissen, kann aber mit einer sehr guten Dialogverständlichkeit punkten. Sieht man von einer mageren Trailershow einmal ab, bietet die vorliegende DVD leider keine Extras, auch wurde auf ein Wendecover verzichtet. Wer einen Heißhunger auf Bonusinhalte zu stillen hat, der greift zur Special Edition von 2008, ebenfalls bei Alamode Film erschienen.
Fazit: Derbe und abgedrehte SF-Splatter-Anarcho-Komödie, respektlos, bitterböse und ohne Niveau, aber mit ganz viel tiefschwarzem Humor, der jeder Form von
political correctness mit eisenbeschlagenen Stiefeln in den Allerwertesten tritt. Wen dieser kurzweilige Bottich hochkonzentrierter Geschmacklosigkeit anwidert, der bleibt lieber bei "Forrest Gump" …