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Die Geschichte des berühmten Zauberers Merlin einmal anders. Es geht um einen Jungen, der nicht weiß, wer oder was er wirklich ist, und um einen goldenen Halsring, den Torques, der seinen Träger zum Großkönig, den Riotham, der geeinten Britannier macht, zuletzt getragen von Ambrosius Aurelianus, Beiname Artus, im Kampf gegen die Sachsen.
Britannien wird im sechsten Jahrhundert zum Ziel unzähliger aggressiver Eindringlinge: Die Sachsen, Skoten und Pikten wollen ihren Herrschaftsbereich ausdehnen und die irischen Gälen auf der britischen Insel Fuß fassen. Am meisten betroffen sind die Gebiete der Britannier von Strathclyde im Norden, Kumbrien im Zentrum, Dyfed im Süden und anderen. Riderch, König von Strathclyde, gelingt es, die Könige der verschiedenen britannischen Reiche zu sich an den Tisch zu holen und ein Bündnis gegen die Eindringlinge auszuhandeln. Doch seine Hoffnung, auf diese Weise Riotham zu werden, wird von Königin Aldan von Dyfed, Gattin des inzwischen verstorbenen Ambrosius, zerschlagen, die das Machtsymbol an Guendoleu, König von Kumbrien, weiterreicht. Plötzlich sind alle Bündnispläne vergessen, Riderch wendet sich statt dessen nach Norden den Skoten zu und verheiratet seine Schwester Guendoloena mit deren König Aedan. Guendoleu wird in eine Falle gelockt und mit seinen Männern niedergemacht. Es gelingt ihm jedoch noch, den Torques seinem jungen Barden anzuvertrauen, der durch wundersame Rettung dem Schlachtfeld entfliehen kann.
Dieser Barde ist Merlin, Sohn der Aldan und somit Kronprinz von Dyfed, aber ein Bastard mit einigen besonderen Eigenschaften, der in der Zeit der mühsamen Christianisierung Britanniens als Sohn des Teufels verschrien ist. Der Verlust seiner kumbrischen Freunde, die Grauen des Schlachtfeldes, die Offenbarung seiner Mutter, dass Ambrosius Aurelianus nicht sein Vater war, und die Sehnsucht nach Guendoloena, mit der er eine romantische Liebesnacht verbracht hat, lassen den unbedarften Jungen zutiefst verstört im Wald zurück, wo er von Bruder Blaise, dem Beichtvater seiner Mutter, aufgefunden wird. Gemeinsam treten die beiden religiös grundverschiedenen Gefährten den Weg gen Süden an, und für Merlin ist diese Reise geprägt von zunehmender Selbsterkenntnis und Reife ...
Ein Vorschlag vorneweg: Am besten liest man sich zuerst Fetjaines Ausführungen im Anhang durch. Hier stellt er dar, wie er zu seiner Geschichte gekommen ist, warum er gerade in dem historisch verbürgten Barden von Kumbrien namens Emrys Myrddin seinen Zauber-Merlin sieht und welche Theorie er zum (Bei-)Namen Artus vertritt. Es liest sich schlüssig, und der Autor schreibt zu keiner Zeit, dass seine Version die richtige sein muss, sondern dass sie eine Möglichkeit ist. Zur weiteren, sehr hilfreichen, Ausstattung gehören eine historische Zeittafel jener Epoche am Schluss sowie eine alphabetische Auflistung der auftretenden Personen - seltsamerweise fehlt Gwrgi, der eine nicht unwichtige Nebenrolle spielt, dafür ist Domelach angeführt, die nie selber auftritt - und eine Karte der britischen Insel mit damaligen Gebietseinteilungen und der eingezeichneten Reiseroute Merlins zu Beginn des Buches. Ein Inhaltsverzeichnis fehlt, was aber nicht weiter stört. Fetjaine spart nicht an gälischen, skotischen oder piktischen Begriffen und Sätzen, um die Geschichte stimmiger zu gestalten, und übersetzt und erklärt diese sowie andere Fachbegriffe in Fußnoten. Über den generellen Einsatz derselben in Romanen kann man geteilter Meinung sein, ich jedenfalls war sehr dankbar dafür.
Der Historiker Fetjaine hat gründlich recherchiert, uralte Quellen herangezogen, die meisten namhaften Figuren in diesem Buch sind in irgendwelchen historischen Quellen erwähnt, und seine Story um Merlin ist perfekt in dieses historische Konstrukt eingefügt. Sehr gelungen ist das Eindringen des Christentums in die Glaubenswelt der Drei Mütter und das Aufeinanderprallen von Mönchtum und Druidentum - Aedan und Riderch etwa spielen die bekehrten Heiden, weil ihnen das politischen Nutzen bringt, und auf der Insel Môn vermischen sich christliche Bräuche mit heidnischen Ritualen.
Fantasy-Elemente sind sparsam eingesetzt, es gibt keine bunten Zaubertricks, und wo Merlin etwas durch Zauberkraft erreicht, geschieht das passiv und ohne dass er es verstehen würde. Und genauso sind diese Dinge beschrieben: Flüchtig, niemals klar umrissen, teilweise beiläufig in die Beschreibungen eingeflochten, bleiben diese widernatürlichen Augenblicke stets schwammig und unwirklich. Das Finale in den Hügeln von Preseli in der "Nacht der Toten" ist grandios, ein Rausch des Übernatürlichen, der über Merlin hereinbricht, einfach nur fantastisch in Worte gekleidet.
Eine weitere Stärke dieses Buches ist das Schaffen von Atmosphäre. Gleich die ersten Beschreibungen von Dun Breatann, die die verschwommen-verwunschene Stimmung des Coverbildes von F.B. Regös wiederzugeben scheinen, entführen den Leser in die raue, geheimnisvolle und bedrohliche Welt, in der diese Geschichte spielt. Ob unbedarfte Liebesnacht, königliches Festgelage, blutiges Gemetzel oder Flüchtlingselend, immer findet der Autor die richtigen verspielten, krassen oder bewegenden Formulierungen.
Sehr gelungen sind ebenfalls die Darstellungen der verschiedenen Charaktere, für dich sich Fetjaine viel Zeit lässt. König Aedan erweist sich nicht nur als kriegerischer Führer und hinterhältiger Vertrauensbrecher, sondern wird in Guendoloenas Gegenwart zum unbeholfenen verliebten Jungen. Bruder Blaise sorgt immer mal wieder mit seiner Art und seiner Plumpheit für ein Schmunzeln, ist aber schwer zu durchschauen - ist er wirklich um Merlins Wohl besorgt oder will er nur den Torques heil nach Dyfed bringen? Guendoloena macht eine Wandlung vom Naivchen zur verantwortungsvoll denkenden Frau durch. Und bei Merlin geht der Autor so sehr in die Tiefe dieses Charakters, dass man beinahe körperlich mit dem Jungen leidet, wenn er in der Schlacht von bärigen Männerleibern umspült wird oder sich auf hoher See verloren fühlt, man kann seine Kaltblütigkeit nachvollziehen angesichts der Vergewaltigung einer jungen Frau und fühlt mit ihm, wenn er weint oder verängstigt ist.
Fetjaine ist hier ein großartiges Charakterportrait gelungen, stimmig von vorne bis hinten und mit sorgfältig ausgewählten Worten beschrieben. Eiskalte Intrigen, große Gefühle, gnadenlose Schlachten, Trostlosigkeit, Verzweiflung, unergründbare christliche Glaubensvertreter, ausgeprägte und nachvollziehbare Charaktere, sowie ein wohldosierter Hauch von Magie vor historisch weitgehend verbürgter Kulisse, fügen sich zu einem sehr spannenden, allerdings auch sehr brutalen Gemisch aus historischem und Fantasy-Roman zusammen, den ich nur ungern aus der Hand gelegt habe - irgendwann muss man schlafen und den Alltag bestreiten. Nichts für Kinder! Gewalt, Blut, Sex, trostlose Grundstimmung und schonungslose Beschreibung von Kriegselend machen dieses Buch zu einem eher für Erwachsene geeigneten Roman, der fesselt und mitreißt. Auf den zweiten Teil, "Merlin im Elfenwald", bin ich nun mehr als gespannt.