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Oswald Spenglers monumentales geschichtsphilosophisches Werk "Der Untergang des Abendlandes" ist weithin zumindest in Auszügen bekannt, der Autor umstritten, da er vielen Historikern als Wegbereiter des Nationalsozialismus gilt. Da mag es erstaunen, dass ein deutsch-ägyptischer Politologe den Titel aufgreift und statt des Abendlandes den islamisch geprägten Orient untergehen lässt.
Warum sich die islamische Welt seiner Meinung nach auflösen wird, erläutert der Autor in fünfzehn Kapiteln, auf die er den Leser zunächst in einer ausführlichen Einleitung vorbereitet, deren Titel "Morgenland ist abgebrannt" bereits einen Vorgeschmack auf die Direktheit gibt, mit der Abdel-Samad sich seinem Thema widmet.
Der Autor erläutert anhand der Geschichte des "Morgenlandes", wie und warum nach einer Blütezeit des Islams Stagnation eintrat, und welche Sündenböcke sich seiner Meinung nach die teils sehr armen islamischen Staaten schaffen, um ihr Versagen nicht zugeben zu müssen. Es geht um Minderwertigkeitskomplexe dem Westen gegenüber, die zur Flucht in die Religion führen und zu einer "Lust an der Kränkung", wie eines der Kapitel betitelt ist; in diesem Zusammenhang hat Abdel-Samad ein Interview mit dem dänischen Chefredakteur geführt, dessen Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen weltweit zum Eklat führte. Das Interview ist im Buch abgedruckt.
Andere Kapitel befassen sich damit, wie vom Westen gestützte autoritäre Regimes die Religion nutzen, um sich an der Macht und zu diesem Zweck die Bevölkerung dumm zu halten, mit der Entrechtung der Frau und mit dem Umgang mit der Sexualität im Zusammenhang mit dem Islam. Der Autor zeigt die Widersprüche auf, in denen auch der Einzelne gefangen ist, hin- und hergerissen zwischen der strikten Auslegung des Korans und der westlichen Lebensart, er weist auf gescheiterte Reformversuche Einzelner hin und versucht, Lösungsansätze zu finden.
Starker Tobak, der so in Deutschland kaum einmal ausgesprochen wird, wo man sich allenfalls über einen Thilo Sarrazin aufregt oder begeistert, der die Integrationsdebatte auf seine Weise belebt. Zu lesen, dass die gesamte islamische Welt in einer Krise stecken könnte, erstaunt den gebürtigen Deutschen, der doch auch "vor Sarrazin" bereits eine gewisse Tendenz hatte, zu glauben, das Abendland werde von fanatischen Muslimen und gebärfreudigen Musliminnen nur so überrannt, die Spenglers Vision wahr machten.
Für Abdel-Samad sieht die Weltlage anders aus. Ohne Hass übt er harte, von Fakten gestützte Kritik an der Religion, mit der er aufwuchs und der er sich immer noch zugehörig fühlt – oder nicht eigentlich an der Religion, sondern an der aus ihr erwachsenen Kultur. Dass er es sich nicht leicht macht und viel persönlicher Schmerz hinter diesem Buch steht, erkennt man unter anderem in dem Kapitel, in dem es um das Schicksal seiner als Kind fröhlichen und blitzgescheiten Nichte geht: als Zehnjährige beschnitten, als noch nicht Fünfzehnjährige an einen mehr als doppelt so alten Mann verheiratet und von der Schule genommen, vom Ehemann täglich missbraucht, wird sie Mutter, als sie keine sechzehn Jahre alt ist – seelisch und geistig gebrochen.
Abdel-Samads Prognose ist höchst pessimistisch und hält für das Abendland keine Beruhigung bereit, denn, dessen ist sich der Autor sicher, es wird in den Untergang der islamischen Welt unmittelbar mit hineingezogen. Gleichgültigkeit und Wegschauen seitens des Westens sind folglich keine Lösung.
Manche These mag überspitzt und überzogen wirken, besonders angesichts der Verpflichtung zur "Political Correctness", die das Thema "Islam" beherrscht. Hamed Abdel-Samad als einzelnen Rufer in der Wüste oder als Nestbeschmutzer zu ignorieren, hat indes wenig Sinn: Es gilt, einen wirklich Gewinn bringenden Dialog aufzubauen, und dazu gehören einander widersprechende Thesen. Somit bildet dieses sicherlich polarisierende Buch einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Diskussion.
Link zum Interview mit Hamed Abdel-Samad