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Ein Bauunternehmer feiert den erfolgreichen Durchstich des Gotthard-Basistunnels, an dem seine Firma maßgeblich beteiligt war. Es ist der Tag seines größten Triumphes, aber dieser Tag wird für ihn in einer gewaltigen Tragödie enden.
Massimo Marini hat es geschafft: Als vier Monate altes Baby von seinen Eltern, bettelarmen italienischen Fremdarbeitern, in die Schweiz geschmuggelt, übernahm er, noch nicht dreißigjährig, das kleine Bauunternehmen seines Vaters und brachte es zum Florieren. Er hat einen Sohn, den er abgöttisch liebt, und findet, als seine Ehe nur noch vor sich hin dümpelt, die Liebe seines Lebens.
Aber es gibt einige dunkle Flecken in Massimos Vergangenheit. Nicht nur sollte die Zürcher Gesellschaft besser nicht erfahren, dass er, gern gesehener Zuhörer in der Oper, als junger Mann zu den Aktivisten bei den Opernhauskrawallen gehörte; darüber hinaus basieren seine bauunternehmerischen Aktivitäten auf einem gefälschten Architektur-Diplom.
Als er einen Fehler in der Dachkonstruktion des Zürcher Opernhauses begutachten soll, den seine Leute offensichtlich bei Reparaturarbeiten gemacht haben, lernt er die wunderschöne Cellistin Julia Bodmer kennen und verfällt ihr augenblicklich. Ohne dass er es ahnt, leitet er damit sein Verhängnis ein. Wie ein Kartenhaus, wie das schadhafte Dach der Zürcher Oper, stürzt sein Leben über ihm zusammen.
Massimos Geschichte erfährt der Leser sozusagen aus der Feder von dessen Anwalt Wyss, der als Ich-Erzähler die Rahmenhandlung bestimmt. Wyss leidet unter Depressionen und soll auf Anraten seines Arztes seine Geschichte aufschreiben. Doch was Wyss notiert, ist die Geschichte seines Klienten Massimo Marini, der ein Gegenpol zum farblosen Wyss ist: gut aussehend, temperamentvoll, impulsiv, ein Salonlöwe mit erfülltem Familienleben, dem dann auch noch die große Liebe begegnet. All das fehlt Wyss. Umso klarer beobachtet er Massimo und erzählt über ihn, von gelegentlicher Rückkehr in die Gegenwart unterbrochen.
Als moderne griechische Tragödie hat Rolf Dobelli seinen Roman beschrieben, und diese Bezeichnung trifft den Nagel auf den Kopf. Aufstieg und Fall eines scheinbaren Götterlieblings schildert der Autor dank dem geschickten Einsatz des Ich-Erzählers Wyss aus relativer Distanz, in klarer, kraftvoller Sprache. So ergibt sich die verstörende Dramatik des Romans scheinbar von allein, nichts wirkt hier gekünstelt und konstruiert - auch wenn eine Analyse nach der Lektüre natürlich zeigt, dass der Autor nichts dem Zufall überlassen hat, sondern Figur für Figur, Szene für Szene, jeden Zusammenhang, jede Interaktion seiner Charaktere sorgfältig entworfen hat.
Den Hintergrund dieses an eine Familiensaga erinnernden Romans bildet das Schicksal vieler italienischer Zuwanderer in der Schweiz, die man Fremdarbeiter nannte, und die lange nach Möglichkeit aus der Schweizer Gesellschaft ausgesperrt blieben. Sensibel befasst sich Rolf Dobelli mit diesem Thema, das auch in Deutschland nichts an Aktualität eingebüßt hat. Dennoch stehen sein Massimo und dessen Eltern für sich, dienen nicht als Galionsfiguren für eine sozialkritische Betrachtung. Diese eventuell auszuführen, bleibt dem Leser selbst überlassen. Auch in anderer Hinsicht darf der Leser gelegentlich überlegen, ob er eine Andeutung weiterspinnen und der Tragödie eine weitere Facette verleihen will. Raum für Interpretationen ist trotz der an sich klaren "Story" immer gegeben.
Ein brillanter Roman, spannend von der ersten bis zur letzten Seite, dabei tiefgründig, von fesselndem Stil und kraftvoller Sprache. Ausgesprochen empfehlenswert!
Eine Leseprobe aus "Massimo Marini" gibt es auf der Website des Diogenes Verlags.Link zum Interview mit Rolf Dobelli