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An einem kalten Wintertag brechen ein Mann und eine Frau mit einem Schneemobil auf. Ein Blizzard überrascht sie; der Mann stirbt, die Frau wird noch lebend gefunden, doch sie bleibt im Koma.
Für den Sohn der beiden, einen etwa zwölfjährigen Jungen, bricht eine Welt zusammen, auch wenn ihn seine Großeltern liebevoll aufnehmen, die in einem Dorf an der Nordküste des kanadischen Sankt-Lorenz-Golfs leben. Er kapselt sich ab, beginnt dann aber, sich für einen anderen Außenseiter zu interessieren: Luc, der mit seinem Vater in einem alten Wohnwagen elend haust und sich deshalb sowie aufgrund seines exotischen Aussehens bestens als Prügelknabe eignet.
Zaghaft, dann zunehmend intensiv entwickelt sich zwischen den beiden eine Freundschaft. Der Ich-Erzähler spürt, wie sehr Luc seine Mutter vermisst, die verschwand, als er ein Baby war, und er bringt Luc zu seiner eigenen Mutter, die im Krankenhaus wie ein Schneewittchen im gläsernen Sarg schläft. Luc mit seiner verzweifelten Sehnsucht nach einer Mutter ist sofort vernarrt in die schöne Mutter seines Freundes, und er weiht diesen in seine geheime Welt und deren Rituale ein.
Denn Luc glaubt fest daran, dass seine eigene Mutter Königin in einer prachtvollen, von eigenartigen Wesen bevölkerten Stadt tief unter der Meeresoberfläche ist. Über einen ausgestopften Leguan mit rätselhaftem Blick und Lächeln tritt er mit ihr in Kontakt. Der Ich-Erzähler lässt sich auf diese Traumwelt ein in der Hoffnung, dass seine Mutter mithilfe des Leguans in seine Welt zurückkehren wird, und die beiden machen erstaunliche Erfahrungen. Doch während der Ich-Erzähler, nicht zuletzt dank dem Rückhalt seiner Familie, den Kontakt zur Realität wahrt, verliert sich Luc mehr und mehr in seinen Träumen, bis es kein Zurück mehr gibt.
Denis Thériaults erster Roman, "Siebzehn Silben Ewigkeit", handelt von Liebe und Freundschaft zwischen Erwachsenen. In "Das Lächeln des Leguans" hingegen geht es um die Freundschaft zwischen zwei Kindern, zwei Außenseitern, die einander brauchen, auch wenn Luc zunächst und zum Ende des Romans hin neuerlich autark und unnahbar erscheint, ein Fremder auf Erden, dem Meer und seinen Phänomenen und Kreaturen mehr als dem festen Land verhaftet.
Dass er dem Ich-Erzähler Zutritt zu seiner Traumwelt gewährt, diesen gar einbezieht, wirkt unter solchen Umständen wie ein großes Privileg, und der Magie dieser unterseeischen Welt kann sich auch der Leser nicht entziehen, ebenso wenig dem Sog, den die perfekt konstruierten Spannungsverläufe ausüben. Die gesamte Geschichte berührt sehr intensiv, zeigt sie doch aus der Sicht eines Kindes auf, welch tiefe, manchmal unheilbare Wunden der Verlust eines geliebten Menschen reißen kann, und dass Selbstheilungsversuche unter Umständen gefährlich sind.
Dem Verlag muss man zu der Übersetzerin Saskia Bontjes van Beek gratulieren, der es gelungen ist, die Kraft und Magie von Thériaults Sprache ins Deutsche mitzunehmen – keine leichte Aufgabe, und wenn sie nicht so meisterlich gelöst worden wäre, hätte der Roman mit Sicherheit viel von seiner Anziehungskraft verloren. Denn die Sprache ist nicht die eines Kindes; es handelt sich ja auch nicht um ein Kinderbuch. Erzählt wird im Grunde rückblickend, aus Sicht eines Erwachsenen, der einen Abschnitt seiner Kindheit Revue passieren lässt. Und doch gelingt es Denis Thériault, sich sehr sensibel in das Denken und die Gefühle eines Kindes, vielmehr zweier durchaus verschiedener Kinder, einzufühlen.
Luc bleibt ein Fremdling, ein Wanderer zwischen den Welten. Dennoch, oder gerade deswegen, kann man sich der Faszination dieses Romans nicht entziehen und verfolgt gespannt, Höhen und Tiefen teilend, die Geschichte einer außergewöhnlichen, von Schmerz geprägten Freundschaft.
Eine Leseprobe gibt es
auf der Verlags-Website.
Link zum Interview mit Denis Thériault