Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Pathos gab es schon bei den alten Griechen: Bereits Aristoteles beschrieb die Mittel der emotionalen Einwirkung auf das Publikum als einen wichtigen Teilbereich der Rhetorik. Wie diese altbekannten Mechanismen auch noch heute und in einem populären Massenmedium wie dem Film walten, stellt der Germanist Christian Schmitt in seiner Dissertation dar. Sein Interesse richtet sich dabei zum einen auf die generelle Frage, wie pathetische Darstellung speziell im Medium des Films Bedeutung generiert. Zum anderen nimmt er das spezifische Pathos des Kinos der Jahrtausendwende in den Blick.
In den ersten drei Kapitel wird das theoretische Fundament gelegt: Das erste erklärt die Grundzüge der rhetorischen Pathoserzeugung in der Antike und unterstreicht am Beispiel von Michael Moores Dokumentarfilm "Bowling for Columbine" ihre beständige Aktualität. Das zweite Kapitel widmet sich aus dem Blickwinkel der Semiotik und der Hermeneutik den Mechanismen der pathetischen Bedeutungskonstitution, die anhand von "Titanic" und "Der englische Patient" verdeutlicht werden. Im dritten Kapitel definiert Schmitt das spezifische Pathos des Mediums Film, das, im Unterschied zur Literatur, über Bilder und Musik unmittelbar die Sinne seiner Rezipienten anspricht.
Die fünf in den übrigen Kapiteln folgenden Beispielanalysen beleuchten jeweils einen Aspekt der Pathoserzeugung im zeitgenössischen Film: die Verbindung von Spektakel und Ideologie in Michael Bays Kriegsepos "Pearl Harbor", das Spiel von Pathos und selbstreflexiver Distanzierung in Quentin Tarantinos "Kill Bill Vol. 1 & 2", die Verhandlung der pathetischen Genremuster des Melodramas und des Musicals in zwei Filmen von Lars von Trier ("Breaking the Waves" und "Dancer in the Dark") und schließlich die Inszenierung pathetischer Geschichtserfahrung in Terrence Malicks Historienfilm "The New World".
Kenntnisreich führt Christian Schmitt den Leser vom Pathos-Konzept der Antike zum Gefühlsspektakel im postmodernen Film und macht so auf fruchtbare Weise eine der ältesten Theorien der Emotionserzeugung in der Kunst für die Filmanalyse stark. Dies ist eine Bereicherung für die aktuelle filmwissenschaftliche Emotionsforschung, die sich vor allem an neueren kognitionspsychologischen und phänomenologischen Theorien orientiert. Es ist nur schade, dass der Autor seinen Ansatz nicht mit diesen verschränkt oder sich klar von diesen absetzt, um sich deutlicher in der aktuellen Forschung zu verorten.
Als wissenschaftliche Qualifikationsschrift zielt das Buch vor allem auf ein Fachpublikum. Es ist jedoch klar geschrieben, und die Kapitel zu den einzelnen Filmen könnten auch interessierten Laien einen Einblick in kulturgeschichtliche Zusammenhänge, einige Aha-Effekte und damit eine bewusstere Wertschätzung ihres Lieblingsfilms bescheren. Wer zum Beispiel auf hohem Niveau erfahren will, was Tarantinos "Kill Bill"-Filme, Werke von Warhol und Alben von Marilyn Manson, Rammstein und U2 gemeinsam haben, der kann sich Schmitts Kapitel zum Thema Zitatbilder vornehmen. Das Buch enthält interessante Überlegungen zum fesselnden Thema der Gefühle im Kino, und es spricht gleichzeitig an, welch große gesellschaftliche Bedeutung der Einsatz von Pathosformeln auch in Politik und Journalismus hat. Eventuell hätten die Gedanken zu den Wechselwirkungen zwischen Ideologie und Kinounterhaltung sowie zum unterschiedlichen Umgang mit Pathos in der Populär- und in der Hochkultur in einem kurzen Fazit noch einmal auf den Punkt gebracht werden können.
Insgesamt hat der Verlag Bertz + Fischer jedoch mal wieder ein lohnenswertes Filmbuch herausgebracht. Auch die matte Optik des Covers sowie die Gesamtgestaltung gefallen, und es ist angenehm, dass der Text durch über einhundert (allerdings durchweg schwarzweiße) Abbildungen aus den erwähnten Filmen aufgelockert und visuell unterstützt wird.
Einen Einblick in "Kinopathos" (Inhaltsverzeichnis und Einleitung) gibt es auf der Verlags-Website.