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Marek Gorsky (Max Riemelt) steht zwischen allen Fronten. Als junger Polizist in Berlin führen ihn seine Ermittlungen genau in jenes osteuropäische Kriminellenmilieu, zu dem der Sohn lettisch-jüdischer Einwanderer selbst in engster Verbindung steht: Sein älterer Bruder war zehn Jahre zuvor in den illegalen Zigarettenhandel verstrickt und wurde erschossen – der Täter konnte nicht identifiziert werden und ist vermutlich noch immer im organisierten Verbrechen aktiv. Und Mareks schöne Schwester Stella (Marie Bäumer) ist mit dem charismatischen Gangsterboss Mischa (Misel Maticevic) verheiratet, in dessen Restaurant "Odessa" die Fäden verschiedener Clans der Russenmafia zusammenlaufen.
Gemeinsam mit seinem Partner Sven (Ronald Zehrfeld) steigt Marek nach der zufälligen Festnahme eines gesuchten Mafioso vom profanen Streifendienst zum Einsatz beim Landeskriminalamt auf. Dort machen sich die beiden mit ihrem Engagement jedoch nicht nur Freunde, denn korrupte Kollegen beobachten mit Argwohn, wie die Neuankömmlinge allmählich Licht in das dunkle Geflecht aus Zigaretten- und Menschenschmuggel, Wirtschaftsintrigen, Polit- und Polizeikorruption bringen.
"Im Angesicht des Verbrechens" ist ein Glücksfall für das deutsche Fernsehen. Zurecht erhielt die Miniserie 2010 gleich zweimal den deutschen Fernsehpreis, zum einen als bester Mehrteiler, zum anderen in der Kategorie "Besondere Leistung Fiktion" für das Schauspielerensemble.
Der Zehnteiler präsentiert sich als großes Kino. In zweieinhalbjähriger Produktionszeit und mit großem Budget wurde das Epos mit an die 150 Sprechrollen und etlichen Komparsen gedreht. Nicht nur der Produktionsaufwand, die Komplexität des Drehbuchs und die Schauspielerleistung bewegen sich auf hohem Niveau. Regisseur Dominik Graf, der sich bereits seit Jahrzehnten mit seinen Film- und Fernseharbeiten einen Namen gemacht hat, hat auch ästhetisch alle Register gezogen: Elegische Bilder wie die Unterwasservisionen der jungen Ukrainerin Jelena (Alina Levshin) wechseln sich mit präzisen Dokumentationen des harten Polizei- und Gangsteralltags sowie mit humorvollen Szenerien wie die nackter Prostituierter beim Tontaubenschießen ab. Um die jeweilige Atmosphäre zu verdichten, werden je nachdem Zeitlupen, rasante Schnitte, Jump-Cuts und Split-Screen eingesetzt. Die Uraufführung der Serie fand im Rahmen der Berlinale übrigens tatsächlich im Kino statt, wo das Publikum seiner Begeisterung durch Szenenapplaus und stehende Schlussovationen Luft machte.
Der Erfolg bei der Kritik ist nicht nur durch den Anspruch der Reihe zu erklären. Die allmähliche Zuspitzung der Ereignisse ist einfach sehr spannend erzählt und bietet außerdem zahlreiche humorvolle Momente, ohne die dramatischen Elemente ins Lächerliche abgleiten zu lassen. Eindringlich wird die Welt der Berliner Russenmafia zugleich in ihrer abstoßenden Brutalität und in ihrer mitunter geradezu mitreißenden Lebensenergie und Leidenschaftlichkeit porträtiert. Dabei werden wenige Klischees des neureichen Russen inmitten von Kaviar, Koks, Krimsekt und immer wieder Wodka ausgelassen. Doch nicht nur die osteuropäischen Figuren scheinen getrieben von fehlgeleitetem Ehrgefühl und Rachegelüsten, von Familiensinn und Liebe, vom Streben nach Ansehen, Macht und Luxus. Nur scheint ihr Nachholbedarf nach Jahren hinter dem eisernen Vorhang womöglich größer zu sein. Unser Held Marek hätte, wie er selbst weiß, auch auf der anderen Seite stehen können.
Bei der Figurencharakterisierung nutzte Drehbuchautor Rolf Basedow die Besonderheiten des Serienformats: Er gibt seinen Figuren Zeit sich zu entwickeln und lässt sie zunehmend in verschiedenen Facetten schillern. So sind selbst bei auf den ersten Blick einfach gestrickten Charakteren mit der Zeit ungeahnte Tiefen und Ambivalenzen zu entdecken, und Zuschauersympathien können sich im Laufe der Serie verändern. Zur besonderen Stimmung der Reihe tragen auch die authentischen Drehorte in Berlin, Brandenburg und der Ukraine bei sowie die lebensnahen Dialoge, bei denen das Nebeneinander von Berliner Dialekt, Akzenten verschiedener Ethnien sowie fremdsprachigen Sequenzen (die mit deutschen Untertiteln versehen sind) überzeugt.
"Im Angesicht des Verbrechens" schnürt mit jeder Folge das Netz um die zunächst nur lose verbundenen Figuren enger, lässt die Zusammenhänge deutlicher erkennen und zugleich neue Ahnungen und Fragen aufkommen, so dass der Zuschauer am Ende jeder Episode fiebrig auf die nächste wartet. Mit dem Release der Serien-Edition auf 4 DVDs kann dieses Warten ein Ende haben: Wer will, könnte sich dem Sog der zehn Folgen von jeweils 50 Minuten damit sogar in einem Atemzug hingeben. Dies wird vielleicht insbesondere diejenigen freuen, die sich über die Ausstrahlungspolitik der ARD geärgert haben: Von den Einschaltquoten enttäuscht, sendete diese die letzten drei Folgen anders als geplant direkt hintereinander, so dass der treue Zuschauer die Auflösung der Saga erst weit nach Mitternacht erleben durfte – und das, obwohl die GEZ-Gebühren den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja angeblich genau von diesem Quotendruck entlasten sollen.
Bild- und Tonqualität (Dolby Digital 2.0) der DVDs sind in Ordnung, allerdings kann bei den gelegentlich alltagsnah genuschelten Dialogen auch mal ein Halbsatz untergehen. An Extras gibt es neben einer Trailershow ein halbstündiges Making-of zu sehen.
An ausländische Serien wie die US-Produktion "The Wire" oder den schwedischen Zehnteiler "Kommissarin Lund" mag "Im Angesicht des Verbrechens" für viele noch nicht ganz heranreichen. Wer aber diese Qualitätsserien schätzt, dem macht Dominik Graf hier gehörigen Appetit auf das, was auch die deutsche Serienproduktion häufiger servieren könnte, wenn Kreativität und Know-how auf die richtigen Entscheidungen bei Geldgebern und Sendeanstalten treffen.