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Lieber arm dran als Arm ab? Dieses platte Witzchen trifft zumindest auf Michael Fox, den Protagonisten von "Amputiert", nicht zu. Michael ist ganz unten angekommen – nachdem seine Frau und sein Sohn bei einem Autounfall ums Leben kamen und sich seine Tochter von ihm abgewandt hat, ging sein Leben nur noch in eine Richtung: abwärts. Heute lebt Michael als Penner auf der Straße, Drogen und Alkohol sind das einzige, was den Schmerz für kurze Zeit betäuben kann. Als die Verzweiflung überhandnimmt, plant der einst glückliche Familienvater einen letzten Coup: Er will sich vor einen Zug stürzen, damit seine Tochter immerhin seine Lebensversicherung kassieren und ihr Studium finanzieren kann. Doch jemand hält Michael unerwartet von seinem letzten Gang ab. Ein mysteriöser Mann in einer protzigen Limousine fährt in ebenjenem Moment vor, als Michael sich vor den Zug werfen will. Er bietet dem Lebensmüden die unfassbare Summe von zwei Millionen Dollar, wenn er sich dafür den rechten Arm abtrennen lässt. Nach langem Überlegen willigt Michael ein und begibt sich in die Hände eines scheinbar brillanten Chirurgen, der mit dem Arm große Pläne hat. Und damit beginnt für Michael eine Reihe von grotesken und grauenhaften Ereignissen, die weit schlimmer als der Tod sind …
"Amputiert", der Erstling von Gerd Rollo, macht keine halben Sachen: Er nimmt den Leser mit auf eine skurrile und gewalttätige Tour de Force, die gespickt ist mit amputierten Gliedmaßen, Blut, Verzweiflung und Tod. Natürlich ist das verlockende Angebot mit den zwei Millionen Dollar nur ein Trick, wie der Leser früh ahnt – ebenso wie Michael, doch der hört ausnahmsweise nicht auf sein Bauchgefühl, und damit beginnt ein grauenhaftes 'Abenteuer', das dem Protagonisten ebenso wie dem Leser viel abverlangt, falls er allzu zartbesaitet ist. Der brillante Chirurg, in dessen Klinik Michael sich begibt, entpuppt sich als moderner Dr. Frankenstein, der grausige Experimente durchführt und seinen Patienten nicht nur ihre Extremitäten nimmt, sondern auch jegliche Würde und Hoffnung.
Die Erzählung beginnt trotz der deprimierenden Ausgangslage in fast lockerem Plauderton und ist aus der leicht zynisch gefärbten Sicht von Michael Fox erzählt, der den Leser sofort für sich einnimmt. Umso schlimmer, wenn dem Ich-Erzähler dann grauenhafte Dinge am laufenden Band zustoßen. Immer wenn man denkt, jetzt wäre der absolute Horror-Höhepunkt erreicht, kommt es umgehend schlimmer. Bisweilen ist die Geschichte so abstrus und überdreht, dass man fast lachen muss – dies tut dem Buch ganz gut, es wirkt wie eine Mischung aus spannendem Thriller und überspitzter Groteske. Das Frankenstein-Motiv ist hier jedenfalls in einer ganz aktuellen, frischen Variante zu lesen, die blendend unterhält – gerade weil Gord Rollo nicht mit Blut, amputierten Gliedmaßen und verstümmelten Körpern geizt. Der Schritt, der Hauptfigur schon ziemlich am Anfang wesentliche Körperteile zu nehmen, ist mutig und verleiht der Erzählung Schwung – wann war jemals ein Ich-Erzähler so hilflos und musste sich trotz einer dermaßen misslichen Lage einen Weg aus dem Dilemma bahnen?
"Amputiert" ist ein überraschendes, unterhaltsames und bisweilen sehr bizarres Debüt, das Fans des Blutigen und Brutalen mit Sicherheit gefallen wird. Der Roman ist durch sein rasantes Erzähltempo ein echter Pageturner und schafft es bis zum dramatischen Ende, den Leser immer wieder zu überraschen.