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Pina Bausch – selbst wer nicht viel mit Tanz am Hut hat, wird diesen Namen in den letzten Jahren womöglich schon einmal gehört haben: Die Choreografin und Tänzerin hat es wie kaum eine andere Deutsche durch ihre künstlerischen Visionen und ihre herausragenden Arbeiten mit dem von ihr begründeten Wuppertaler Tanztheater zu Weltruhm gebracht. Auf der Berlinale 2011 wurde Wim Wenders' 3D-Hommage an die 2009 verstorbene Ausnahmekünstlerin bejubelt. Sein Film "Pina" zeigt auch Szenen aus Bauschs Stück "Kontakthof", das sie seit der Uraufführung 1978 mit immer neuen Besetzungen auf die Bühne brachte. 1998 hatte die Choreografin eine Anzeige in einer Wuppertaler Lokalzeitung geschaltet: "Damen und Herren ab 65 gesucht" – und zwar für eine Wiederaufführung von "Kontakthof" mit Laiendarstellern, die, wenn auch keine Tanz-, so doch einiges an Lebenserfahrung auf die Bühne bringen. 26 ausgewählte Seniorinnen und Senioren, teilweise über 80 Jahre alt, proben ein Jahr lang, um schließlich das Publikum in ganz Europa zu begeistern – nicht in erster Linie durch perfekte Körperakrobatik, sondern durch eine eigene Interpretation der Bewegungen, denen bei aller hart erarbeiteter Präzision nicht nur ihre Individualität, sondern auch ihr Alter eingeschrieben ist.
Die Dokumentar- und Experimentalfilmerin Lilo Mangelsdorff hat die ungewöhnliche Tanztruppe auf dem Weg zu diesem Erfolg begleitet. Der Zuschauer bekommt Einblicke in die Probenarbeit der "Damen und Herren ab 65". Dabei stellen nicht nur die teils komplexen Bewegungsabläufe, der professionelle Anspruch an Körper- und Mimikkontrolle und die kräftezehrenden Wiederholungen die tanzenden Senioren vor besondere Herausforderungen. Als gestandene Persönlichkeiten, die es zum Teil in ihrem zurückliegenden Berufsleben gewohnt waren, den Ton anzugeben, müssen sie sich noch einmal Anweisungen fügen, Kritik und Korrekturen annehmen. Für viele kostet es auch Überwindung, bewusst Gefühle zu zeigen oder auf einer Bühne im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen.
Außer in den gefilmten Probensituationen und Tanzszenen lernt der Zuschauer einige der Mitwirkenden durch kurze Interviews näher kennen. Man erfährt, dass die späte Entdeckung des Tanzes bei einigen Seiten zum Vorschein gebracht hat, die nicht nur ihre engsten Freunde und Familienmitglieder, sondern auch sie selbst überraschen. Umgekehrt bringen die Tänzer und Tänzerinnen ihre reiche Lebenserfahrung in das Stück und seine Gesamtwirkung ein. Den fiktionalen Rahmen für die Szenen von "Kontakthof" bildet ein Tanzkurs: ein typischer Tummelplatz für die Begegnungen zwischen verschiedenen Menschen und vor allem zwischen den beiden Geschlechtern, für persönliche Eitelkeiten und Unsicherheiten – Themen, die durch das fortgeschrittene Alter der Darsteller ganz eigene Nuancen erhalten. In diesem Zusammenhang sei übrigens auf ein weiteres Generationenexperiment hingewiesen, bei dem Pinas Bausch "Kontakthof" noch einmal mit einer Laientruppe – dieses Mal mit Jugendlichen – einstudierte, und zu dem ebenfalls ein Dokumentarfilm auf DVD erschienen ist: "Tanzträume" von Anne Linsel und Rainer Hofmann.
"Damen und Herren ab 65" ist ein sensibler, humorvoller und berührender Dokumentarfilm, der seine Protagonisten nicht nur in ihrer Eigenschaft als 'alte Tänzer' in den Blickpunkt rückt, sondern in ihrer Individualität und auf diese Weise auch viel vom Geist Pina Bauschs zeigt, ohne dass diese selbst präsent ist. Der stolze Preis von knapp 20€ für die DVD wird jedoch vermutlich manchen auf eine Fernsehausstrahlung warten lassen…