Tim (Lee Williams) ist ein Draufgänger. Er legt die Frauen reihenweise flach. Echte Gefühle sind dabei nicht im Spiel. Kurz vor Ende seines Studiums begegnet er an der Uni dem Paläontologen Ivo (Marc Warren) und ist vom ersten Augenblick an von diesem fasziniert. Die beiden beginnen eine leidenschaftliche Affäre, für die Tim seinen promisken Lebensstil aufgibt. Dann begeht Ivo jedoch einen Kardinalsfehler: Er gesteht Tim seine Liebe. Der fühlt sich genötigt, sofort emotional auf Abstand zu gehen. Trotzdem begleitet er Ivo nach Alaska, wo dieser in den Sommermonaten auf Kreuzfahrten sein Geld als wissenschaftlicher Unterhalter verdient. Die erste Route will Ivo allein bestreiten. Er lässt Tim im Hotel zurück, wo dieser sich schnell zu langweilen beginnt. Bis er der stillen, schüchternen Isabel (Mikela J. Mikael) begegnet und sich das erste Mal in seinem Leben richtig verliebt. Das löst eine Verwirrung der Gefühle aus, die nach Ivos Rückkehr schrecklich eskaliert, einen Mord nach sich zieht und Tim in den Wahnsinn zu treiben droht …

"No Night is too long" ist die Verfilmung eines Ruth Rendell-Romans, den sie unter ihrem Pseudonym Barbara Vine 1994 verfasste. Die Adaption durch die BBC erfolgte 2002. Der englische TV-Sender ist bekannt für seine äußerst gelungenen Produktionen und Romanumsetzungen, und "No Night is too long" bildet da keine Ausnahme. Der rund zweistündige Streifen fügt sich nahtlos ein in eine Reihe beeindruckender Romanadaptionen der BBC: Die Drehbuchumsetzung wirkt schlüssig, Ausstattung und Szenenbild wissen zu gefallen, die Kamerafahrten sind abwechslungsreich, visuell ansprechend und gehen über die üblichen TV-Einstellungen hinaus, die Hintergrundmusik ist unaufdringlich, aber passend, und die Darstellerriege überzeugt durch die Bank.

Das ist bei diesem Film extrem wichtig, denn die Geschichte lebt von der emotionalen Reise ihrer Figuren: Unsicherheit und Arroganz, Zorn, Selbstbewusstsein und Verwirrung, Leidenschaft, Liebe, Wut und Wahn müssen die Akteure für die Zuschauer transparent machen. Es ist ihnen und dem Regisseur hoch anzurechnen, wie lebensecht das gelingt. Die leidenschaftliche, gefährliche Beziehung zwischen Ivo und Tim wird greifbar, weil Williams und Warren sie absolut glaubwürdig darstellen. Vor allem das intensive Spiel des zum Produktionszeitpunkt noch recht jungen Lee Williams zieht in seinen Bann. Er wird zum egozentrischen, unsicheren Tim, und obwohl der im Grunde genommen kein sympathischer, sondern vielmehr ein tragischer, bemitleidenswerter Charakter ist, fiebert man mit ihm.

Neben den tollen Bildern und den beeindruckenden Schauspieler-Leistungen überzeugt "No Night is too long" zudem mit einer sehr gut durchdachten, psychologisch nachvollziehbaren Handlung mit zahlreichen Wendungen und einigen echten Überraschungen. Der Film ist irgendwo zwischen unkonventionellem Thriller, Drama und Psychogramm angesiedelt. Wie weit kann emotionale Verzweiflung einen Menschen treiben? Wie geht man mit Schuld um? Wie angreifbar macht sie uns? Wie zerstörerisch können Leidenschaft und Liebe sein? Das sind einige Fragen, denen die Geschichte nachgeht. Bemerkenswert ist darüber hinaus, mit welcher Selbstverständlichkeit und Ehrlichkeit der Krimi Homo- und Bisexualität in Szene setzt, ohne dass es effekthascherisch wirkt.

Auch wenn der Streifen bereits einige Jahre auf dem Buckel hat, ist es sehr begrüßenswert, dass Pro Fun Media ihn jetzt hierzulande auf DVD veröffentlicht hat. Zwar liegt "No Night is too long" nur in der Originaltonspur vor (deutsche Untertitel sind anwählbar) und Bonusmaterial sucht man, sieht man von einer Bildergalerie und einem Trailer ab, vergeblich, dennoch lohnt die Anschaffung, wenn man auf psychologisch gut ausgearbeitete Krimi-Plots steht.

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