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Wie so viele Nazi-Karrieren schien auch Reinhard Heydrich die seine nicht in die Wiege gelegt worden zu sein. Der Spross aus einer zunächst wohlhabenden Musikerfamilie wirkte eher prädestiniert für eine Laufbahn als Geiger oder auch Wissenschaftler. Der Ausgang des Ersten Weltkrieges veranlasste den jungen Heydrich jedoch, nach dem Abitur zur Marine zu gehen. Eine unehrenhafte Entlassung führte ihn, einen sehr ehrgeizigen Einzelgänger, schließlich den Nazis zu; hinzu kamen Verlobung und Heirat mit einer glühenden Antisemitin und Nationalsozialistin.
Der Historiker Robert Gerwarth schildert in seiner Heydrich-Biographie das Leben des späteren Chefs des Reichssicherheitsamtes, engsten Mitarbeiters Himmlers und stellvertretenden Reichsprotektors von Böhmen und Mähren, der eine zentrale Rolle bei der so genannten Endlösung der Judenfrage spielen und schließlich im Frühjahr 1942 in Prag ermordet werden sollte.
Das Buch beginnt mit dem Attentat auf Heydrich, dessen Folgen dieser schließlich erlag, und seinen Hintergründen. Die sich anschließenden Kapitel berichten von Heydrichs Kindheit und Jugend, seiner Berufswahl und Karriere und seinem zunehmenden Einfluss als Himmlers Mitarbeiter in Nazi-Deutschland. Jedoch analysiert der Autor stets auch den geschichtlichen Kontext und zeigt wechselseitige Bezüge zwischen Heydrich und seiner politischen und sozialen Umgebung auf, er vermittelt Informationen zu den Aktivitäten der tschechischen Exilregierung unter Beneš in London und zur Rolle Englands hinsichtlich der gesamten Entwicklung im östlichen Mitteleuropa.
Hierbei gelingt Gerwarth der Spagat zwischen einer gründlichen Einbeziehung der Hintergründe und Vernetzungen und einer letztlich doch klaren Biographie der Person Heydrichs. Auch die Persönlichkeit Heydrichs, der für viele, die sich mit dem Dritten Reich beschäftigen, regelrecht als das personifizierte Böse gilt, betrachtet der Autor analytisch und zeigt auf, wie nacheinander die "bösen" Facetten dieses Charakters aufscheinen und sich verstärken, bis aus Heydrich der führende Logistiker des Holocaust wird.
Der Leser lernt so eine beispiellose Nazi-Karriere kennen und wird mit den Institutionen vertraut, mit denen Heydrichs Aufstieg und Macht eng verknüpft waren, vor allem die SS und das von ihm geleitete Reichssicherheitshauptamt. Die Lektüre des Buchs lohnt sich nicht nur, weil darin eine bislang biographisch nicht zufriedenstellend erfasste, jedoch sehr bedeutende Persönlichkeit des Nationalsozialismus umfassend und anhand von vielseitigem und umfangreichem Quellenmaterial portraitiert wird – das Werk ergänzt und erweitert außerdem die Sicht auf das Dritte Reich und die Machtverhältnisse in seiner Führung. Es enthält eine Reihe von Fotos aus verschiedenen Lebensstationen Heydrichs und nebst einem umfangreichen Anhang auch (in den Klappen) Karten des Deutschen Reiches und der annektierten Gebiete von 1937 und 1942.
Obwohl das Buch in erster Linie sicherlich eine Lücke in der wissenschaftlichen Literatur füllt, ist es allgemeinverständlich verfasst und liest sich angenehm flüssig und ausgesprochen spannend; Gerwarth hat sein Thema exzellent und auch für eine breite Leserschaft unter den an der jüngeren Geschichte interessierten Laien aufbereitet. Auch für diese ist das Buch unbedingt zu empfehlen!
Interview mit dem Autor des BuchsVerlagsseite zum Buch mit Leseprobe