Nur einen kurzen Moment lässt eine junge Mutter ihre Tochter im Zug nach Stockholm unbeaufsichtigt, weil sie einen Anruf tätigen will. Doch auf dem Bahnsteig wird sie aufgehalten, was dazu führt, dass der Zug ohne sie abfährt und Lilian allein im Abteil zurückbleibt. Als die Mutter in Panik den Zug am nächsten Halt erreicht, ist ihr kleines Mädchen spurlos verschwunden - und niemand hat etwas Verdächtiges beobachtet. Die Kriminalpolizei nimmt die Ermittlungen auf und hat sofort den Exfreund der Mutter in Verdacht, trat dieser doch in der Vergangenheit bereits in Zusammenhang mit häuslicher Gewalt in Erscheinung. Doch der Vater hat ein scheinbar wasserdichtes Alibi und die kleine Lilian bleibt verschwunden - bis der entsetzten Mutter ein Päckchen mit grausigem Inhalt zugestellt wird. Schließlich wird die Leiche von Lilian gefunden, seltsam drapiert und mit kahlgeschorenem Kopf. Der entsetzliche Fund ist erst der Anfang eines nicht enden wollenden Albtraums für das Stockholmer Ermittlerteam um den brillanten Hauptkommissar Alex Recht und die spröde Fahndungsspezialistin Fredrika Bergman. Noch mehr Kinder verschwinden, ohne dass der Täter verwertbare Spuren hinterlässt. Scheinbar verfolgt er mit den Entführungen einen größeren Plan, der ein grausame Botschaft übermitteln soll ...

"Aschenputtel" ist das Debüt der schwedischen Autorin Kristina Ohlsson. Der Roman erschien im Original bereits 2009 und fesselt den Leser geschickt mit einem Thema, das fast noch als Tabu oder zumindest als recht selten in Romanen bezeichnet werden kann: dem Mord an kleinen Kindern. Die Eingangsszene, die zum ersten Verbrechen führt, lässt den Leser zwar kurz zweifeln - welche Mutter würde ein Kleinkind unbeaufsichtigt im Zug sitzen lassen? -, ist aber trotzdem hochspannend und stimmt darauf ein, was noch folgen soll. Zudem führt Ohlsson dem Leser damit klar vor Augen, dass ein einziger kurzer Moment der Unachtsamkeit das komplette Leben eines Menschen zerstören kann - ziemlich harter Stoff, der trotz manch grausiger Details angenehm unaufgeregt inszeniert wurde.
Kristina Ohlsson konzentriert sich neben dem spannenden Plot vor allem darauf, die Personen des ermittelnden Polizeiteams einzuführen: Alex Recht, der Chef, ist auf seinem Gebiet eine lebende Legende, zu der alle aufschauen. Die junge Fredrika Bergman stößt neu zu seinem Team und hat von Beginn an einen extrem schweren Stand, zum einen durch die Tatsache, dass sie keine ausgebildete Polizistin ist und deshalb nicht für voll genommen wird, zum anderen durch ihre eigenwillige Art, die im Team nicht gerade gut ankommt. Vor allem ihr Kollege Peder fühlt sich durch Fredrikas Art provoziert, und er denkt gar nicht daran, ihre Ermittlungsansätze in diesem Fall auch nur in Betracht ziehen - ein schwerwiegender Fehler, wie sich bald zeigen soll ...

Die Charaktere mit ihren Macken und zahlreichen privaten Problemen sind glaubwürdig gezeichnet, die Konstellationen untereinander interessant. Vor allem sind die meisten Personen hier anders, als sie auf den ersten Blick scheinen - erst im Verlauf des Romans erfährt man mehr über ihre Hintergrundgeschichte und kann sich ein Urteil über sie bilden.

"Aschenputtel" ist ein gelungenes Debüt: ein äußerst spannender und flüssig geschriebener Einstieg in eine neue Krimireihe, deren nächster Band gespannt erwartet werden kann. Je weiter die Handlung voranschreitet, umso mehr legt sie an Tempo und Dramatik zu, denn es bleibt nicht bei dem einen Mord. Dass der Leser in manchen Kapiteln die Sicht des offenbar schwer gestörten Täters serviert bekommt, heizt das Unbehagen beim Lesen zusätzlich an. Packend und lesenswert!

Auf Schwedisch sind in der Krimireihe bereits die Nachfolgebände "Tusenskönor" (2010) und "Änglavakter" (2011) erschienen. Ein Veröffentlichungsdatum des nächsten Romans auf Deutsch steht aber leider noch nicht fest.