Verlagsinfo:"Seit mehr als siebzig Jahren brüten Bewunderer H. P. Lovecrafts neue Geschichten zu dessen literarischer Schöpfung vom bösen, außerirdischen Cthulhu aus. In diesem Buch präsentiert der Herausgeber meisterhafte Cthulhu-Mythos-Erzählungen aus den USA, England und Deutschland."
Inhalt:Ramsey Campbell: Schriftlich
Christian von Aster: Yamasai
Kim Newman: Der große Fisch
Thomas Ligotti: Harlekins letzte Feier
Jens Schumacher: Der Hügel von Yhth
F. Paul Wilson: Hinter dem Schleier
Brian McNaughton: Das Verderben, das über Innsmouth kam
Hier ist sie also, die Hardcover-Neuausgabe von
Die Saat des Cthulhu, Band 2 der
H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens. Als weiterer Hardcover-Nachdruck folgt dann Anfang 2006 der dritte Band
Der Lovecraft-Zirkel¸ damit wird sich die Lücke schließen und die gesamte Reihe als Hardcover vorliegen.
In der Neuausgabe ist die Geschichte
Die Farben der Tiefe von Thomas Wagner auf Wunsch des Autors herausgenommen wurden. Der Festa-Verlag hat die so entstandene Lücke durch die deutsche Erstveröffentlichung von
Das Verderben¸ das über Innsmouth kam von Brian McNaughton gefüllt. Wer die Geschichte von Thomas Wagner auch als Hardcover-Besitzer nicht verpassen will, sollte einmal auf
http://www.nocturno-mag.de.vu/ gehen. In Nocturno # 5 ist sie anscheinend abgedruckt.
Das Cover des Hardcovers zeigt einen riesigen Totenkopf. Übrigens einen anderen wie die Softcoverausgabe. Die neue Variante wirkt auf mich weniger cthuloid und mehr allgemein nach Horror.
Nach einem kleinen Vorwort und einer Mini-Autoren-Info beginnt die Anthologie mit
Schriftlich von Ramsey Campbell. Die Infos sind übrigens sehr (!) kurz gefasst.
Campbell ist bekanntlich später ein sehr erfolgreicher Autor geworden. Seine Cthulhu-Mythos-Geschichten schrieb er (nur) am Anfang seiner Karriere, so auch die hier vorliegende. Sein erstes Buch erschien 1964, diese Geschichte 1969.
Seine Geschichte lebt von der guten Beschreibung des Protagonisten, einem schwulen Lehrer, der gerne jungen Knaben den Hintern versohlt und "spezielle" Literatur bevorzugt (z. B. "Adam und Evan"), die er nur unter dem Ladentisch bekommt. Er ist neurotisch im Umgang mit Büchern, jeder Knick kommt einer Kriegserklärung gleich. Die Geschichte selber ist leider recht vorhersehbar und das Ende auch nicht wirklich einfallsreich. Lässt man die "Offenbarungen" weg (Mythos-Buch) und ersetzt das Mythos-Wesen durch ein beliebiges anderes Horror-Wesen, hätte man eine ganz normale Horrorgeschichte. Allzu cthuloid finde ich das irgendwie nicht. Sogar mit einem "ganz normal verrückten" Menschen würde die Geschichte funktionieren.
Die einzige Pointe, die ich entdecken konnte, zündet auch nicht wirklich. Es geht darum, was der Protagonist erst glaubt, warum es in dem entscheidenen Gespräch geht.
Letztlich ist es schön, mal einen verschrobenen Charakter zu haben und nicht immer dieselben langweiligen Mittelklasse-Charaktere eines Stephen King. Aber eine wirklich gute Horror-Geschichte ist es deswegen nicht.
An die Geschichte
Yamasai von Christian von Aster bin ich dann mit großer Erwartung herangegangen, denn immerhin ist
Ein Porträt Torquemadas aus der Anthologie Der Cthulhu-Mythos 1976 - 2002 mehr als genial. Und wirklich,
Yamasi weiß auch zu gefallen.
Die Geschichte beginnt sehr cthulhu-typisch: Ein Mann erfährt durch einen Zeitungsartikel von Merkwürdigkeiten am Ende der Welt und reist dorthin. Aber am Ende steht wirklich eine großartige Wendung/Pointe. Ob das Ende cthuloid ist, mag jeder selbst beurteilen. Andererseits, wer kennt schon alle Geheimnisse des Mythos? Wer weiß, welche Schrecklichkeiten existieren? Leider wirkt der letzte Satz ein wenig so, als ob der Autor seinem Werk nicht genug Wirkung zugetraut hat. Der Satz, ausgesprochen vom Protagonisten, klingt wie ein Satz vom Autor, der darauf hinweisen will, wie schrecklich doch diese Variante ist.
Fazit: Christian von Aster legt hier eine sehr gute Kurzgeschichte hin, die mit den Erwartungen der Leser spielt und dann vollkommen unerwartet endet. Sie könnte auch als gute Horrorgeschichte außerhalb des Cthulhu-Mythos bestehen. Von Aster hat jedenfalls gute Ideen und weiß sie auch umzusetzen.
Die dritte Geschichte im Bande ist
Der große Fisch von Kim Newman, laut Vorwort eine der abgedrehtesten Cthulhu-Geschichten überhaupt. Und wirklich: Hier liegt mal was vollkommen anderes vor. Der Autor vermischt seine Lieblinge Raymond Chandler und H.P.L. zu einer cthuloiden Detektivgeschichte in Bay City. Und zwar eine Detektivgeschichte der alten Schule, die wirklich köstlich zu lesen ist. Der Protagonist hat keine Ahnung von Cthulhu und Konsorten, als jemand den Namen Cthulhu erwähnt, meint er nur "Gesundheit" ;) Er kommt langsam mit dem Mythos in Kontakt und auch mit Leuten, die mehr davon wissen und den Kampf aufgenommen haben.
Mein einziger Kritikpunkt wäre, dass das Ende zu modern ist. Damit meine ich, der kosmische Schrecken eines HPL fehlt vollkommen, die Mythosgeschöpfe sind viel zu leicht besiegbar. Aber als Gesamt-Fazit kann ich nur sagen: Eine unterhaltsame und spannende Detektivgeschichte mit cthuloiden Hintergründen. Wirklich eine gute Geschichte.
Das Vorwort zu
Harlekins letzte Feier von Thomas Ligotti weckt enorme Erwartungen, wird doch Ligotti als der "neue Lovecraft" bezeichnet. Aber nach der Lektüre der Geschichte muss ich zugeben, der Schuh ist zwar ein wirklich großer, aber Ligotti passt fast rein. Doch wenn man mal davon absieht, dass Lovecraft eben den Mythos als solches selbst geschaffen hat, muss man sagen, Ligotti ist eine moderne Variante von Lovecraft. Zumindest diese Geschichte von ihm ist genial.
Der Grundplot ist eher Standard: Ein Mann reist in eine Kleinstadt im Mittel-Westen der USA, um eine regionale Besonderheit zu untersuchen (ein Fest) und gerät in Verwicklungen, die er sich nie zu träumen gewagt hätte. Wenn, dann höchstens in seinen Alpträumen.
Die Geschichte ist stark an Lovecrafts Originalen orientiert. Aber ohne eine plumpe Kopie zu sein oder künstlich Lovecrafts altertümliche und oft merkwürdige Sprache zu übernehmen, um eine falsche Authenzität herzustellen.
Die Stadt Mirocaw erinnert stark an Innsmouth. Sie ist im Stile Lovecrafts beschrieben, was mir sehr gut gefällt. Verschrobene Perspektiven, merkwürdige Einwohner, ein dunkles Geheimnis. Ligotti schafft hier eine sehr dichte Atmosphäre.
Im Gegensatz zu vielen Mythos-Geschichten ist diese nicht nur interessant und/oder unterhaltsam, sondern auch wirklich spannend. Was auch daran liegt, dass man die Aktivitäten des Protagonisten nicht nur nachträglich in alten Aufzeichnungen zu lesen bekommt.
Die eigentliche Handlung ist sehr einfallsreich. Die Clown-Elemente geben dann noch mal eine absurde Note. Natürlich bewegt sich die Geschichte auch in vorgegebenen Pfaden, aber modern, spannend und leichter zu lesen. Die dichte Atmosphäre trägt das Ihrige dazu bei.
Auch wenn meiner Erachtung nach nicht alle Rätsel gelöst werden (obwohl: ob wirklich alle Details der Vorgeschichte beschrieben sein müssen, ist sicher Geschmackssache), erlebt der Leser eine Stadt in einem seltsamen Taumel, in dem hinter den Geheimnissen noch andere, dunklere Geheimnisse lauern. Und je mehr man darin eindringt, umso erschreckender wird alles.
Mein Fazit lautet daher: Die bis dahin beste Geschichte in diesem Band, zudem eine der besten Cthulhu-Geschichten überhaupt. Und ich sollte mir dringend die anderen Geschichten von Ligotti besorgen.
Der Hügel von Yhth von Jens Schumacher ist eine typische Cthulhu-Geschichte und ganz im Stil von Lovecraft. Der Plot ist Standard: Junger Student kommt in eine Stadt (hier Barath), forscht in alten Büchern und entdeckt Dinge, die besser ungesehen bleiben sollten.
Die Geschichte ist kein Meisterwerk, aber gut zu lesen, unterhaltsam und hat eine ironische Note am Ende. Nach Ligotti und Newmann hat sie es aber etwas schwer, zu begeistern. Für eine typische Cthulhu-Geschichte ist sie aber gut. Der Schreibstil des Autors ist gut, seine Beschreibungen ebenfalls.
The Barrens von F. Paul Wilson liegt hier in deutscher Erstveröffentlichung unter dem Titel
Hinter dem Schleier vor. Mir sagten zwar zuvor weder Autor noch Titel etwas, aber nach der Lektüre ist klar, dass Wilson wert ist, beachtet zu werden.
Worum geht es? Jon, ein Student der Miskantonic University, bittet seine alte Uni-Liebe Mac, ihm bei seinen Nachforschungen über den Jersey Devil zu helfen. Mac stammt nämlich aus New Jersey, genauer gesagt stammt sie aus den lokalen Pinienwäldern. Und diese sind mehr als düster und die Einwohner sehr verschlossen gegenüber Fremden. Joe scheint aber in Wirklichkeit etwas anderes zu suchen, denn er interessiert sich für allerlei seltsame Erscheinungen und wenig für den Jersey Devil. Und tatsächlich entdeckt er etwas - und muss teuer dafür bezahlen.
Die Geschichte weiß zu begeistern. Die Charaktere sind nachvollziehbar und die Beschreibungen der Pinienwälder und ihrer Einwohner (Pineys) sind einfach nur genial. Macht richtig Lust, dort mal ein Call of Cthulhu-Abenteuer anzusiedeln. Die Geschichte gehört klar ins obere Drittel guter Cthulhu-Geschichten. Die Auflösung ist dann auch noch mal einfallsreich. Wirklich gut gelungen.
Als letzte Geschichte kommt
Das Verderben, das über Innsmouth kam von Brian McNaughton. Hier wird die Nachgeschichte der Staatsaktion gegen Innsmouth im Jahre 1928 (Fans werden wissen, was gemeint ist) erzählt.
Auch wenn die Geschichte nicht schlecht geschrieben ist, begeistert vor allem der Hintergrund. Bestimmte Personen aus Innsmouth wurden nach der Staatsaktion in Lager gesperrt, später aber freigelassen; ihre Nachkommen sollen entschädigt werden. So auch der Protagonist Bob, der zum Gesundheitsamt in Innsmouth vorgeladen wird. Aber in dieser Einrichtung scheint es nicht um Hilfe für die Menschen mit dem Innsmouth-Look zu gehen. Letztlich muß Bob seinen Weg findenÂ…
Also, wie hier z. B. Kennedy und Hoover ins Spiel gebracht werden, ist schon erstaunlich genial. Gut, die Tatsache, dass der Protagonist ein "Kermit" ist (so werden die Menschen mit dem Innsmouth-Look in dieser Geschichte u. a. genannt) und das auch absolut genial findet, mag eventuell manchen stören. Schließlich wird hier die Sichtweise der "Gegenseite" geschildert.
Aber ich kann diese Geschichte nur empfehlen. Auch sie drängt sich als Hintergrund für ein CoC-Abenteuer auf. Die Nachgeschichte der Staatsaktion so zu beschreiben, ist einfach nur genial. Sehr einfallsreich und unterhaltsam.
Gesamtfazit: Kaufempfehlung!
Mehrere wirklich geniale Geschichten, ein gutes Mittelfeld und nur eine schwache Geschichte. Wer nicht nur auf die Lovecraft-Originale steht und/oder die Cthulhu-Geschichten im alten Stil und sogar mal etwas Verrücktes wie die Geschichte von Newman mit einem Schmunzeln akzeptieren kann, der kann hier auf alle Fälle zugreifen.