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Zeitgleich mit der zunehmenden Technisierung und Medialisierung unserer Alltagswelt rückt das Interesse am Körper und Phänomenen des Körperlichen verstärkt ins Zentrum kulturwissenschaftlicher Überlegungen. An der Schnittstelle beider Phänomene erlebt die Filmwissenschaft in den letzten Jahren einen Paradigmenwechsel, indem sie sich ihrem Gegenstand zunehmend aus der Perspektive des Körpers heraus zuwendet. Dabei gerät nicht nur die Darstellung von Körpern in den Blickpunkt. Vielmehr ist Filmerfahrung nicht mehr anders zu denken denn als Körpererfahrung: Die Gestaltungselemente adressieren den Zuschauer mit all seinen Sinnen, und die ganze Rezeptionssituation wird bestimmt durch die räumlich-körperliche Anordnung von Zuschauer und Filmbild.
Thomas Morsch liefert mit seiner nun im renommierten
Fink Verlag erschienenen Dissertationsschrift einen gewichtigen Baustein zu einer diesem Paradigmenwechsel folgenden somatischen Theorie des Kinos.
Das Thema erschließt Morsch über drei Problemfelder, denen er jeweils eines seiner Hauptkapitel widmet. Im ersten Kapitel geht es um "Ästhetische Figurationen des Körperlichen". Es eröffnet den Blick für die verschiedenen Assoziationen, die in film- und medienästhetischen Konzepten (zum Beispiel Roland Barthes' "punctum" oder der Begriff des Exzesses) bereits mit Körper-Metaphoriken belegt worden sind. Das zweite Kapitel mit der Überschrift "Verkörperte Wahrnehmung – zur Medienästhetik des Films" setzt sich mit Fragen nach dem Verhältnis zwischen Körper und Medien auseinander und verfolgt dabei die These, dass Medien vor allem als Ausdruck verkörperter Wahrnehmung zu sehen sind, was am Beispiel des Films unter Einbeziehung von Analysebeispiele insbesondere aus dem populären Genrekino veranschaulicht wird. Das vergleichsweise kurze dritte Kapitel ("Körperlichkeit und ästhetische Erfahrung") problematisiert das Verhältnis dieser beiden Begriffe noch einmal auf neue Weise, indem es in Frage stellt, ob das Körperliche sich auf sinnliche Wahrnehmungsformen reduzieren lässt oder ob es als ästhetisches Konzept nicht noch mehr Potenzial zu bieten hat.
Trotz der vertieften Auseinandersetzung mit avancierten philosophischen Ansätzen (vor allem mit Maurice Merlau-Pontys phänomenologischer Theorie der Wahrnehmung und Gilles Deleuzes ästhetischer Philosophie), versteht sich Morschs Arbeit vor allem als Beitrag zur Filmtheorie, in der philosophische Konzepte nur dazu dienen sollen, das Spezifische der Kinoerfahrung begrifflich fassbar zu machen. In diesem Sinn ist es eine der Stärken dieses Buchs, das es durch alle Kapitel hindurch theoretische, filmanalytische und rezeptionsästhetische Aspekte miteinander verschränkt. Die anspruchsvollen theoretischen Erwägungen werden dabei an verschiedenen Stellen flankiert von Bezügen zu konkreten Filmbeispielen aus dem Mainstream- wie dem Arthouse-Kino. Etwas ausführlichere Analyseabschnitte widmen sich Stanley Kubricks "2001: A Space Odyssey", Gaspar Noés "Irréversible" und Takashi Miikes "Audition" und das letzte Unterkapitel beschäftigt sich mit Filmen des zeitgenössischen französischen Regisseurs Philippe Grandrieux. Herausgelöst aus dem weitreichenden theoretischen Kontext sind die Filmanalysen jedoch schwer lesbar - wer also nur aus Interesse für einen der behandelten Filme zu dem Buch greifen möchte, wird davon nicht viel haben. Bei der Arbeit handelt es sich unmissverständlich um eine wissenschaftliche Qualifikationsschrift, die auch als solche gelesen werden will und dann einen vielschichtigen Beitrag zur aktuellen filmwissenschaftlichen Debatte liefert. Für filminteressierte Laien oder auch Studierende der Medienwissenschaft, die erst einen Einstieg in den Diskurs um Filmästhetik und somatische Medienrezeption suchen, ist Morschs "Medienästhetik des Films" nicht die richtige Wahl.