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Leah Fleming beginnt mit ihrem Roman kurz vor dem Auslaufen des Schiffs in Southampton. Die wohlhabende Celeste ist auf der Heimreise. Sie war auf der Beerdigung ihrer Mutter in England und kehrt nun zu Mann und Sohn nach Amerika zurück. Gleichzeitig betritt auch die junge Familie May und Joe mit Tochter Ellen das Schiff. Sie wollen auswandern und mit Hilfe von Joes Onkel in Amerika einen neuen Anfang wagen. Doch nur wenige Seiten später kollidiert die Titanic mit dem Eisberg und der Kampf ums Überleben beginnt. Die seinerzeit übliche Einteilung der Gesellschaft in Klassen wurde nun so manchem aus der dritten Klasse zum Verhängnis. Während Celeste bereits sicher in einem Rettungsboot sitzt, bangt May noch auf dem sinkenden Stahlkoloss um ihr Leben. Doch Celeste ist nicht nur reich, sondern auch hilfsbereit und erwirkt bei ihren Leidensgenossen ein Zusammenrutschen, sodass May ebenso einen Platz im kleinen Boot findet. Mit letzter Kraft reicht ihr Kapitän Smith ein Baby aus dem Wasser, das sie glücklich in ihre Arme schließt. Joe hat sie längst aus den Augen verloren. Erst später erkennt May, dass das Kind in ihren Armen nicht ihre Tochter Ellen ist. Sie zögert nur einen Augenblick bis sie entscheidet, dieses Kind als ihr eigenes anzunehmen und es Ella zu nennen.
Die Nachricht des Untergangs verbreitet sich in New York wie ein Lauffeuer. Viele Menschen erwarten ihre Angehörigen und hoffen, dass sie unter den Geretteten auf der Carpatia sind. Gleichzeitig befürchten sie auch das Schlimmste. Unter ihnen ist der italienische Auswanderer Angelo Bartolini. Seine Frau Maria soll mit ihrem neugeborenen Kind eintreffen. Um die aufgeregt verkündeten Nachrichten zu verstehen, kennt er die Sprache zu schlecht. Als er einen geklöppelten Babyschuh am Pier findet, glaubt er fest daran, dass er seine Familie im Trubel lediglich verpasst habe. Unermüdlich gibt er immer wieder Suchanzeigen auf und lässt sich auch von den Passagierlisten nicht beirren. Trost findet er erst viel später bei der Irin Kathleen, die beim Unglück ihre Schwester verloren hat. Mit ihr gründet er eine Familie mit drei Kindern. Dennoch ist auch Maria mit der Tochter immer gegenwärtig.
Um die RMS Titanic rankt seit der unglückseligen Jungfernfahrt ein Mythos. Mit Schrecken gedenken wir noch heute der 1500 Menschen, die am 15. April 1912 beim größten Unglück der Neuzeit den Tod fanden. Gleichzeitig fasziniert aber auch der gigantisch anmutende Schiffsrumpf mit den vier Schornsteinen, der mit 31.000 PS den bis dahin stärksten Antrieb hatte. Die Titanic galt wegen ihrer Konstruktion mit Schotten als unsinkbar. Mit den Auswirkungen, die eine Kollision mit einem Eisberg hervorrufen kann, hatte niemand gerechnet. Vielleicht hatte man aus diesem Grund auf eine ausreichende Anzahl von Rettungsboten verzichtet. Durch diese Fahrlässigkeit und der vorherrschende Gedanke der Klassengesellschaft konnten nur knapp 800 Reisende gerettet werden. Erst Stunden später nahm die Carpatia die Schiffbrüchigen auf und transportierte sie zum Zielhafen New York.
Leah Fleming malt in diesem Roman ein detailliertes Gesellschaftsportrait vom beginnenden 20. Jahrhundert. Sie lässt ihre Charaktere aus den unterschiedlichen Schichten am Schluss an einem Strang ziehen. Wohlproportioniert sind dabei fiktive und wahre Ereignisse. Gerade beim Untergang der Titanic hält sich die britische Autorin eng an die Fakten. Wo andere Romane ihr Ende finden, beginnt aber hier die eigentliche Erzählung. May und Celeste haben auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeiten. Das Erlebnis der Rettung schweißt die beiden Frauen aber für den Rest ihres Lebens zusammen. Celeste ermöglicht May die Rückkehr nach England und ein nahezu unbehelligtes Leben. Sie ahnt nicht, dass sie damit auch die Herkunft der kleinen Ella verschleiert. Das Thema Selbstfindung und Herkunft wird zu einem späteren Zeitpunkt mit viel Fingerspitzengefühl von der Autorin verdeutlicht. Auch andere emotionale Themen wie Trauer, Gewalt in der Ehe oder Kindesentführung werden aus allen Blickwinkeln beleuchtet und ermöglichen den Lesern, sich eine eigene Meinung zu bilden. Ebenso verfährt sie mit dem Handlungsstrang um den italienischen Auswanderer Angelo, der mit der Trauer um seine erste Familie die Geduld seines Umfeldes arg strapaziert. Die erzählerische Dichte mit dem Wechsel zwischen Gefühl und Spannung kommt hier uneingeschränkt zum Tragen.
Der Roman ist in fünf Abschnitte unterteilt und deckt ein halbes Jahrhundert ab. Darin enthalten sind drei große Katastrophen des beginnenden 20. Jahrhunderts. Geschickt bewegen sich dabei die drei angelegten Erzählstränge aufeinander zu bis zum Schluss ein farbiges, einheitliches Bild präsentiert wird. Immer wirken die Handlungen authentisch und vermitteln ein Lebensgefühl der entsprechenden Zeit. Ob es nun in Amerika die aufkommende Bewegung der Frauenrechtlerinnen, der harte Alltag einer englischen Fabrikarbeiterin oder die nur gerade über die Runden kommende Bauernfamilie in der Toskana im Zweiten Weltkrieg ist, stets wirken die Umstände angemessen. „Schiff der tausend Träume“ ist der achte Roman von Leah Fleming, jedoch der erste, der auch auf Deutsch übersetzt wurde. Es bleibt zu hoffen, dass auch weitere Romane folgen. Nicht nur Fans von Kate Morton oder Theresa Révay werden sich darüber freuen.
Eine Leseprobe ist auf der
Verlagsseite zu finden.