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Was für den Stand des Berufsfotografen generell gilt, gilt erst recht für den Bereich der Kriegsfotografie: Das Festhalten der Bilder von Gewalt, Besatzung, Terror und Tod ist eine Männerdomäne. Fern von Glamour und Beschaulichkeit gilt es hier unerschrocken und geistesgegenwärtig Bilder des Schreckens einzufangen, deren Anblick an die Grenzen der menschlichen Belastbarkeit heranreicht. Und nicht nur das: Kriegsfotografen setzen sich nicht nur einer enormen emotionalen Belastung aus, sondern tauchen meist sogar unter Einsatz von Leib und Leben mitten in die gefährlichsten Situationen ein, um dem Rest der Welt ein Bild davon zu geben, was fern vom friedlichen Alltag tagtäglich an gewaltsamem Grauen geschieht.
Eine der wenigen Frauen, die sich dieser harten Bedingungen und den Vorurteilen ob ihres Geschlechts zum Trotze in dem Job einen Namen gemacht haben, ist die Deutsche Anja Niedringhaus, die durch ihre zahlreichen Veröffentlichungen in namhaften Medienorganen unser aller Bild vom Krieg entscheidend geprägt hat. Nachdem die 1965 in Nordrhein-Westfalen geborene Fotojournalistin einige Zeit freiberuflich tätig gewesen war und ab 1990 für die
European Pressphoto Agency in Frankfurt am Main den Jugoslawien-Krieg dokumentiert hatte, trat Anja Niedringhaus 2002 der renommierten amerikanischen Nachrichtenagentur
Associated Press bei. Seit etwa zwei Jahrzehnten ist die Fotografin nun also schon in einigen der gefährlichsten Kriegs- und Krisengebieten der Welt im Einsatz, unter anderem im Irak, in Afghanistan, in Libyen, in Israel und in Kuwait. 2005 gewann sie als einzige Frau unter elf Preisträgern den Pulitzer Award für ihre Fotografien vom Irak-Krieg.
Ende 2011 widmete das
C/O Berlin Anja Niedringhaus eine Ausstellung. Zu sehen waren darin Bilder, die von 2001 bis Sommer 2011 entstanden sind, im Irak, im Gaza-Streifen, in Libyen, vor allem aber in Afghanistan. Die Besonderheit dieser Fotografien bringt die Journalistin Ulrike Demmer gut auf den Punkt, die einen der Einleitungstexte zu dem Ausstellungsband beigesteuert hat: "Die Bilder in diesem Buch sprechen eine Sprache, die so einfach ist, dass jeder sie versteht." Die Fotos von Anja Niedringhaus zeigen kein abstraktes Kriegsgeschehen, keine Dokumentation des technischen und strategischen Aufgebots. Stattdessen konkretisiert sie die menschliche Grenzerfahrung in Bildern von Individuen, von Einzelmomenten und paradigmatischen Situationen, die in ihrer fotografischen Komposition eine universelle Sprache sprechen und dem Betrachter ganz unterschiedliche Gesichter des Krieges vor Augen führen.
Da sind die typischen Kriegs-Bilder von Panzern, Helikoptern und bewaffnetem Truppeneinsatz, von Verletzten, Verstümmelten und Toten: Niedringshaus' Kameraauge ist so nah dabei, dass man die Emotionen von den Gesichtern der Beteiligten und Betroffenen ablesen kann, zugleich aber so einfühlsam und diskret, dass diese Einblicke nie voyeuristisch wirken. Dass Krieg nicht nur Praxis, sondern seine Repräsentation auch politisches Vehikel ist, wird an der weltbekannt gewordenen Fotografie eines uniformierten George Bush deutlich, der am Thanksgiving Day 2003 in Bagdad seinen strahlenden Soldaten einen Truthahn auf einem silbernen Tablett präsentiert. Vor allem sind es jedoch die zahlreichen von Niedringhaus festgehaltenen Alltagsszenen, die das Leben in den Krisengebieten anschaulich machen. Eindrucksvoll sind hier insbesondere die Bilder von Kindern und Jugendlichen, die die Ungeheuerlichkeit des Krieges von klein auf kennen und sie mit unbefangener Selbstverständlichkeit in ihr Leben integrieren: zum Beispiel zwei kleine Palästinenser, die inmitten von Trümmern feixend mit einem gefundenen Schnurtelefon spielen; oder ein afghanischer Junge, der, auf einem Kettenkarussell sitzend, mit bösem Gesichtsausdruck eine Spielzeugwaffe in Anschlag bringt, während die anderen Kinder um ihn herum grinsen. Nicht nur diese Fotografien transportieren, was man von Kriegsfotografie im ersten Moment vielleicht nicht erwarten würde: Immer wieder stehen neben tief bewegenden Aufnahmen, in denen ungeheuerliches Leid spürbar wird, auch Bilder, die einen ganz besonderen Humor ausstrahlen – gerade hier zeigt sich die Menschlichkeit von Niedringhaus' Fotografien besonders deutlich, indem sie die tragische Absurdität des Geschehens ironisch zum Vorschein bringen.
Bindung und Druck des Buches sind, wie man es von
Hatje Cantz gewohnt ist, von höchster Qualität. Den allesamt querformatigen Fotografien sind in der Regel jeweils ganzseitig auf der rechten Seite abgebildet, links geben kurze, aber sehr aufschlussreiche Texte wertvolle Informationen zu Zeitpunkt, Ort und Kontext der jeweiligen Aufnahme. Anders als in den Printmedien, in denen die Digitalfotografien von Anja Niedringhaus häufig in Farbe erscheinen, finden sich entsprechend der Ausstellungs-Prints in dem Bildband durchgehend Schwarzweiß-Abdrucke – mit einer einzigen Ausnahme: In der Aufnahme, die den Band beschließt und eine Weihnachtsveranstaltung einer amerikanischen Truppe in Kuwait zeigt, hebt sich das knallrot-weiße Kostüm des eingeflogenen Santa Claus auf absurde Weise vom entsättigten Graugrün der uniformierten Truppe im Wüstensand ab. Eingeleitet wird der Fotografie-Teil im Übrigen durch ein knappes Grußwort von Santiago Lyon, dem Leiter der fotografischen Abteilung von Associated Press, sowie durch mehrseitige Essays von Felix Hoffmann, Jean-Christophe Ammann und Ulrike Demmer. Alle vier Texte finden sich im Anhang auch nochmal in englischer Sprache.
Die in dem Bildband "At War" versammelten Fotografien sind nicht nur eindrucksvolle Beispiele der Kunst der Reportagefotografie, sondern leisten zudem einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem Kriegsgeschehen an den Krisenherden der letzten Jahre, von dem Außenstehende ohne engagierte Journalisten wie Anja Niedringhaus keinen Hauch mitbekämen. Das Buch ist jedem uneingeschränkt zu empfehlen!
Einblicke in das Buch gibt es auf der Verlagsseite.