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Wer ist nicht schon einmal an so manchem Zeitgenossen verzweifelt, als er ihm in spontanen Diskussionen seine Vor- und Fehlurteile vor Augen führen wollte, und am Ende von ihm für verblendet, arrogant oder noch schlimmeres gehalten wurde? Der deutsche Aufklärer Christoph Martin Wieland hat 1781 einen satirischen Roman über eine fiktive Polis geschrieben, in der ausschließlich solche Zeitgenossen leben. "Die Geschichte der Abderiten" erzählt, wie ein Gemeinwesen aufgrund der Ignoranz, Überheblichkeit und Selbstsucht seiner Mitglieder untergeht. Und alles beginnt mit ärgerlichen, aber harmlosen Diskussionen ...
Die Reclam-Studienausgabe präsentiert den gesamten Text samt Ergänzungen und Variationen. Der Roman selbst ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten treffen die Abderiten auf drei große Denker der Antike. Zunächst kehrt der Abderite Demokrit nach einer 20-jährigen Reise durch die antike Welt in seine Heimatstadt zurück. Doch ist diese Stadt voller kleinkarierter und engstirniger Menschen für einen Mann, der die Welt gesehen hat, keine Heimat mehr. Die Abderiten finden ihn nur wunderlich und rufen schließlich sogar Hippokrates, um ihn für verrückt erklären zu lassen. Als letzter weiser Mann erscheint noch Euripides in Abdera.
Im zweiten Teil sind die Abderiten dann unter sich. Die weisen Männer haben die Polis verlassen. Nun beginnen sie sich in Prozessen und durch Intrigen gegenseitig zu übervorteilen. Einen gemeinsamen "Gegner" gibt es nicht mehr und die Satire nimmt ihr tragisch-komisches, aber verdientes Ende.
Die überlieferten Ergänzungen und Variationen von Wieland sind auf circa 40 Seiten abgedruckt. Hiernach folgt noch ein Anhang mit dem Anmerkungsapparat, den Literaturhinweisen sowie mit einem Nachwort zur literaturgeschichtlichen Einordnung des Textes.
Christoph Martin Wielands "Die Geschichte der Abderiten" ist eine aufklärerische Satire, die sich mit unterhaltender Komik über alle Menschen lustig macht, die sich selbst für den Nabel der Welt halten und ihre Urteile nicht mittels der Vernunft, sondern allein in den engen Grenzen ihrer Einbildungskraft fällen.
Die Geschichte mag zwar in der Antike spielen und als Satire sicherlich einige Bezüge zur Realität des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation im 18. Jahrhundert aufweisen. Doch der Text ist universell, denn er parodiert arrogante, ignorante, überhebliche und ausschließlich auf den Eigennutz fokussierte Charaktere, die es immer gab und wahrscheinlich auch immer geben wird. Der Leser kann sich bei der Lektüre nur zu gut vorstellen, was für Erfahrungen Wieland gemacht haben muss, um auf die Idee für dieses Buch zu kommen.
Der Text ist durchaus für jeden geeignet. Es bedarf keinerlei historischer oder literaturwissenschaftlicher Vorkenntnisse. Viele Namen oder antike Begriffe erklärt Wieland selbst in Fußnoten. In den Anmerkungen sind ebenfalls viele vielleicht unbekannte oder veraltete Begriffe erklärt. Und auch der Schreibstil Wielands ist überraschend modern. Dass der Text nun schon 230 Jahre alt ist, behindert den Lesefluss überhaupt nicht.
Durch die wissenschaftliche Aufbereitung der Reclam-Studienausgabe können auch Studenten und Wissenschaftler bedenkenlos zu dieser Ausgabe greifen. Das Nachwort bietet grundlegende einführende Informationen zum Autor und zum Text. Das Literaturverzeichnis ist darüber hinaus systematisch geordnet und bietet einen schnellen Überblick, um auch für ein spezielles Interesse weiterführende Titel zu finden.
Ob also aus wissenschaftlichem Interesse oder als Unterhaltungslektüre mit sicher vielen Bezügen zu eigenen Erfahrungen, der Kauf dieses Buches lohnt sich!
Das Inhaltsverzeichnis ist zu finden auf der Verlagswebsite.