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Wir fühlen uns heute trotz der Krise ziemlich sicher. Der Staat wirkt trotz aller Turbulenzen stabil, die Pressefreiheit ist sakrosankt und internationale Freundschaften gehören zum Alltag. Ähnlich sicher fühlten sich auch die Menschen 1913, dem Jahr vor dem Attentat auf Franz Ferdinand und dem Beginn des Ersten Weltkrieges. Florian Illies hat dieses Jahr vor dem Krieg jetzt rekonstruiert und literarisch aufgearbeitet.
Monat für Monat erläutert Illies, was damals bereits bekannte Persönlichkeiten wie Thomas Mann und Sigmund Freud aber auch noch Unbekannte wie Adolf Hitler und Josef Stalin erleben. Dabei orientiert er sich an Briefen, Zeitungsartikeln und Tagebüchern und kommentiert das Geschehen zuweilen.
Dabei spielt er mit dem Wissen der heutigen Leser und nimmt selten auch selbst den Verlauf der Geschichte vorweg. Wenn Illies bildhaft-einfühlsam berichtet, wie der österreichische Kronprinz Franz Ferdinand auf die Übernahme der Macht wartet, wie Hitler sich als Aquarellmaler verdingt und wie Stalin und Trotzki sich das erste Mal begegnen, entsteht beim Lesen ein bizarres Gefühl ob der Zukunft, die den jeweiligen Akteuren bevorsteht.
Dabei ist die Weltgeschichte des Jahres 1913 zu umfassend, um sie auch nur ansatzweise ausführlich wiederzugeben. Illies beschränkt sich daher sehr stark auf die deutsch-österreichische Intelligenz und die modernen bildenden Künstler. Durch letztere finden Paris und die USA zumindest Eingang in das Werk.
Jedoch sind deutsche Politiker und Industrielle in dem Werk unterrepräsentiert. Es wäre durchaus interessant gewesen, was Persönlichkeiten wie Hugo Stinnes und Friedrich Ebert, die nach dem Weltkrieg die Republik prägten, im letzten Friedensjahr der Monarchie taten.
Der studierte Kunsthistoriker Illies stellt den in Kunstgeschichte weniger bewanderten Leser zuweilen vor Herausforderungen, wenn er ohne weitere Erklärung von Kunstkritikern und Mäzenen der Zeit berichtet. Hier wird ab und an der Griff zum Nachschlagewerk notwendig.
Die kenntnisreiche Darstellung der damaligen Seil- und Feindschaften in der Kunstszene, bei denen auch immer wieder Affären und Abweisungen eine Rolle spielten, macht auch Lust, sich weiter mit der (Kunst-)Geschichte dieser Epoche zu beschäftigen.
Die Lektüre vermittelt so nicht nur Allgemeinwissen, sondern führt in die - für gewöhnlich - nur einer kleinen Gruppe von Experten bekannten biografischen Details der Kunstszene ein und liefert so interessante und abwechslungsreiche Hintergrundinformationen und Erklärungen. Einen Einblick in das im Buch verarbeitete Faktenwissen gibt das Rätsel zum Buch auf der
Verlagsseite.
Der Schreibstil Illies, die Leichtigkeit, mit der er den historischen Bogen spannt und die zahlreichen intellektuellen Anspielungen und ironischen Kommentare machen das Buch trotz der dem Jahr innewohnenden Tragik zu einer empfehlenswerten Lektüre.