Die Helden unserer Kindheit aus der Fernsehwelt der 70er und 80er Jahre kehren zurück auf den Bildschirm. Seit September 2005 ist die erste Staffel von "Anne mit den roten Haaren" (Originalname "Akage no Anne"), im deutschen Handel als DVD erhältlich.

Die Geschichte der rothaarigen elfjährigen Anne Shirley beginnt in den 70er Jahren des neunzehnten Jahrhunderts auf der Prince-Edward-Insel im atlantischen Ozean, die zu einer Provinz in Ostkanada gehört. Die Serie basiert auf dem 1908 erschienenen ersten Band der "Anne of Green Gables"-Reihe von Lucy Maud Montgomery und hält sich erstaunlich nah an die Romanvorlage.

Das kleine Waisenmädchen Anne, das bisher eine traurige Kindheit verbringen musste, freut sich riesig auf seine neue Pflegefamilie, die Geschwister Matthew und Marilla Cuthbert. Doch als Anne am Bahnhof von ihrem Pflegevater Matthew abgeholt wird, ist dieser höchst überrascht, denn eigentlich hatten die Cuthberts einen Jungen adoptieren wollen.

Ihre Pflegeeltern können es nicht fassen, dass statt des gewünschten Jungen ein Mädchen aus dem Waisenhaus zu ihnen geschickt wurde. Zwar ist Anne fest entschlossen, bei den Cuthberts auf deren Farm "Green Gables" zu bleiben, doch ihre Pflegeeltern sind der Meinung, dass ihnen nur ein kräftiger Junge bei der Farmarbeit helfen kann.

Erst nach einigen Anlaufschwierigkeiten kann Anne ihre neue Familie davon überzeugen, sie dauerhaft bei sich aufzunehmen. Anne ist überglücklich. Eines Tages findet sie in der Nachbarstochter Diana Barry auch noch die Freundin, die sie sich immer gewünscht hat. Von nun an erleben die beiden kleinen Mädchen zusammen verrückte Geschichten.

Anne macht es dem Zuschauer anfangs nicht einfach, sie zu mögen. In den ersten Folgen wirkt sie altklug und schnattert in Erwachsenensprache unermüdlich, bis Marilla eines Tages zu ihr sagt: "Hältst Du es für möglich, mein Kind, den Mund wenigstens dann zu halten, wenn Du kaust?"

Doch so wie sie ihre Pflegeeltern durch ihre fantasiereichen Einfälle, die herzensguten Taten und ihre romantische Ader langsam für sich einnimmt, so wird sie auch vom Zuschauer mit der Zeit ins Herz geschlossen. "Man ertappt sich dabei, dass man neugierig wird, was sie als nächstes anstellt. Die Kleine hat mich verhext." So wundert sich Marilla über ihre eigenen Gefühle. Kindern oder jugendlichen Zuschauern bietet die Rolle der Anne eine positive und sympathische Heldenfigur, der es immer wieder gelingt, durch Optimismus und Fantasie auch schwierige Zeiten zu überstehen.

"Anne mit den roten Haaren" gehört zur von Hayao Miyazaki ("Prinzessin Mononoke") und Isao Takahata ("Die letzten Leuchtkäfer") begründeten World Masterpiece Theater-Reihe von Nippon Animation. Anders als viele seiner Kollegen mied der 1935 geborene Zeichentrickregisseur Takahata die für japanische Trickfilme typischen Themen Science-Fiction und Fantasy und drehte mit diesem Animé eine Serie ganz anderer Stilrichtung.

Sein Erzählstil ist beeinflusst vom italienischen Neorealismus und Frankreichs "Nouvelle Vague". Typisch für Takahatas Arbeit sind psychologisches Feingefühl, politische Untertöne, eine poetische Bildsprache und eher sparsam eingesetzte fantastische Elemente. "Anne mit den roten Haaren" ist daher ein gutes Beispiel für seine Arbeit. Die Zeichnungen überzeugen durch die Mischung aus Superimpressionen und realistischen Bildern.

Die deutsche Synchronisation ist dann etwas gewöhnungs- bedürftig, wenn man das japanische Original kennt. Inez Günther ("Sailor Moon II") als Anne klingt zu tief, Sabine Bohlmann ("Lisa Simpson") als Diana Barry etwas zu brav. Marillas Stimme ist im Japanischen etwas disziplinierter und strenger als die deutsche, Matthew klingt im Deutschen nicht einmal halb so schüchtern. Wem allerdings die japanische Version nicht bekannt ist, den wird das an der deutschen nicht stören.

"Anne mit den roten Haaren" erscheint bei Epix in zwei Staffeln auf jeweils 4 DVDs mit 25 Folgen in rein deutscher Tonspur. Die Extras sind für den stolzen DVD-Preis von 34,97 Euro ein wenig sparsam. Neben dem Trailer sowie dem Episodenführer bieten sich dem Käufer nur die Biografie Takahatas und eine Bildergalerie. Dadurch ist das Preis-Leistungsverhältnis nicht ausgewogen.

Wenn die Serie auch in manchen Folgen etwas langatmig scheint, so ist es Takahata doch gelungen, die rührende aber auch lustige Geschichte von Lucy Maud Montgomery zeichnerisch exzellent umzusetzen und die Liebenswürdigkeit der einzelnen Charaktere gut darzustellen. Der Klassiker-Animé "Anne mit den roten Haaren" spricht Jung und Alt gleichermaßen an.