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"Euthanasie" ist ein Begriff, der wie Konzentrationslager oder Holocaust sofort an den Nationalsozialismus denken lässt. Doch die 200.000 Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie" sind weniger in dem öffentlichen Bewusstsein Deutschlands verankert als die anderer Opfergruppen. Götz Aly hat Jahrzehnte lang zu diesem Thema geforscht und seine Ergebnisse in seinem Buch "Die Belasteten" nun erstmalig in einer Monographie veröffentlicht.
Das knapp 350-seitige Buch beschreibt in siebzehn Kapiteln, wie Insassen psychiatrischer Kliniken, Krankenhäuser, Lazarette und Heilanstalten umgebracht wurden, weil es sich im nationalsozialistischen Weltbild um "unwerte Leben" handelte und die Kosten für ihre Betreuung in Kriegszeiten gespart werden müssten.
In jedem Kapitel werden verschiedene Aspekte dieses staatlich organisierten Massenmordens dargestellt. Neben den ideologischen Grundlagen, dem verwaltungstechnischen Ablauf und den Motiven der Täter, kommen auch die Opfer und ihre Familien häufig zu Wort. So beschreibt Aly sowohl die zuständige Behörde in der Berliner Tiergartenstraße 4, die extra von den Nationalsozialisten für das "Euthanasie"-Programm geschaffen wurde, als auch die Reaktion der Bevölkerung, der Angehörigen und den Umgang mit den Familien der Opfer bis in die Gegenwart hinein.
Im Anhang des Buches findet sich eine Nachbetrachtung, in der Aly die Geschichte seiner Forschungen und Rezeption nachzeichnet. Außerdem gibt es einen Anmerkungsteil, ein Literaturverzeichnis sowie ein Register.
Götz Alys "Die Belasteten" ist das Ergebnis einer sehr engagierten Forschungsarbeit. Das spürt der Leser nicht nur durch die akribische Quellenarbeit des Autors. Das ganze Buch kämpft gegen das Vergessen einer ganzen Opfergruppe des Nationalsozialismus an. Die besondere Tragik im Falle der Opfer der "Euthanasie"-Politik ist der selbst schamhafte Umgang der Angehörigen, der bis heute anhält und einem würdigen Gedenken oftmals im Wege steht, weil ohne Einwilligung der Familie, die Archive nicht einmal die Namen der Opfer freigeben.
Der Autor leistet mit seiner Forschung auch wichtige Beiträge zum Verständnis der nationalsozialistischen Herrschaft. Er stellt dar, wie intensiv das Regime darüber nachgedacht hat, inwieweit es die Bevölkerung oder die Angehörigen von der "Euthanasie" in Kenntnis setzen sollte und wie weit es gehen kann. Aly berichtet von einigen Beispielen, die belegen, wie schnell die Behörden einzelne bereits für die Gaskammer bestimmte Opfer wieder zurückbrachten, wenn Angehörige Protest einlegten und zeigten, dass sie ihren Tod nicht einfach hinnehmen würden. Um so erschreckender ist, in wie vielen Fällen eine solch beherzte Reaktion ausblieb, und der Tod eines intensiv pflegebedürftigen Familienmitgliedes einfach hingenommen oder sogar als Erleichterung empfunden wurde.
Die Lektüre dieses Buches ist sehr zu empfehlen, zeigt sie doch, dass es auch heute noch blinde Flecken des Gedenkens gibt, deren Aufarbeitung auch für die Gegenwart von Bedeutung ist.
Eine Leseprobe gibt es auf der Verlagswebsite.