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Nur ein dummer Zufall.
Es ist nur ein dummer Zufall, dass Nelson ausgerechnet an diesem Tag versucht, seine anständige Seite zu zeigen und seinem Freund hinterherläuft, um sich bei ihm zu entschuldigen. Und es ist auch nur ein Zufall, dass genau dieser Freund ausgerechnet in dieser kleinen Straße von Schlägertypen drangsaliert und zusammengeschlagen wird. Doch der größte Zufall überhaupt ist wohl, dass Nelson sich nicht einfach aus dem Staub macht, sondern sich in einer Telefonzelle wiederfindet, in der er Hilfe rufen will. Spätestens jetzt läuft Nelsons Leben komplett aus dem Ruder, denn die Nummer, die er wählt, entspricht nämlich den Buchstaben H, E, R und O. Hero, zu deutsch Held.
Und plötzlich steht da nicht mehr der fette, nikotinabhängige Nelson, sondern "der rauchende Schlot", ein Wesen, wie es sich nicht mehr von Nelson unterscheiden könnte. Düster und hochgewachsen und mit Superkräften ausgestattet. Der neuen Gestalt fällt es nicht schwer, die Schläger zu vertreiben.
Doch damit geht die Geschichte erst richtig los, denn wer waren die Typen, die Nelsons Freund angegriffen haben und warum macht plötzlich jemand Jagd auf ihn? Wer zieht die Fäden im Hintergrund?
Eines ist klar: Nachdem Nelson einmal die sonderbaren Fähigkeiten der Telefonzellen-Wählscheibe entdeckt hat, schlüpft er in immer wieder neue Rollen, um sie zu nutzen.
Jedes Mal, wenn der Protagonist Nelson "HELD" anruft, verwandelt er sich in einen ebensolchen. Oder doch nicht? Die Gestalten sind zu skurril, zu einzigartig, zu sehr Freaks, um wirklich als Helden durchzugehen. Aber genial sind sie erdacht, entsprechen sie doch den Gestalten von Schutzgöttern, wie sie der heutigen Zeit ausgesprochen angemessen sind. Der rauchende Schlot verkörpert die Schornsteine, die überall in Großstädten am Horizont zu sehen sind, der Heulsuser beschwört all die traurigen Erinnerungen in uns herauf und wird mit jeder vergossenen Träne stärker, Control-Alt-Delete ist ein verwirrtes Computerwesen, das selbst nicht so genau weiß, was es will. Und es gibt noch viele mehr. Der Tontäuberich, die Kampf-Schnecke oder das wandelnde Virus sind nur einige von ihnen. Schon alleine die Ideen, die dahinter stecken, sind wahnwitzig großartig. Gepaart mit den aussagekräftigen Zeichnungen von Meteus Santolouco und Riccardo Burchielli ergibt sich eine Explosion der Freakigkeit, wie sie einzigartig sein dürfte.
Die Idee des Helden, der genau dann entsteht, wenn eine bestimmte Telefonwählscheibe benutzt wird, gab es bereits bei DC - im Zuge des Neustarts wurde sie neu aufgelegt. Beibehalten wurde lediglich das Verwandlungsmoment und das Artefakt, mit dem dieses ausgelöst wird. Ansonsten ist eine komplett neue Geschichte entstanden. Und was für eine! Als Autor zeigt sich China Miéville verantwortlich, der sich selbst als Schreiber des selbsterklärenden, aber doch sehr weit gefächerten Genres "New Wired" bezeichnet. Damit ist auch schon eine noch nicht sehr volle, dafür aber knallbunte Schublade gefunden, in die sich "Dial H" einsortieren lässt. Bekannt geworden ist Miéville mit seinen Romanen rund um die "Perdido Street Station", das Jugendbuch "UN LON DUN" oder der ungewöhnlichen Science Fiction-Geschichte "Die Stadt und die Stadt". Wer seine Werke kennt, wird Anlehnungen an wohlbekannte Welten entdecken können. Vielleicht gehört sogar einer der größten Gegner aus "Dial H" tatsächlich zur gleichen Rasse, wie einige Wesen, denen der Leser in seinen früheren Werken bereits begegnet ist. Somit ist der Comic natürlich besonders für China Miéville-Fans und -Freunde ein Leckerbissen.
Wer eine klassische Superheldengeschichte erwartet, dürfte eine große Überraschung erleben. Dieser Comic bietet Action und Humor und gleichzeitig eine tiefgründige Geschichte, die hier gerade erst ihren Anfang nimmt. Trotzdem hat er nichts gemein mit Superman und Co. Man könnte ihn vielleicht als völlig ernst gemeinte Parodie verstehen. Der erste Sammelband "Neue Verbindung" ist in sich abgeschlossen, trotzdem gibt es noch jede Menge offene Fragen, die neugierig auf mehr machen.
Auf der Webseite des Verlags kann man sich in die Leseprobe klicken.