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Im Rotlichtviertel des Rio de Janeiro der ausgehenden 1920er-Jahre ist Brancura einer der Großen. Ihm gehören die schönsten und ertragreichsten Mädchen, vor allem die unvergleichliche Valdirene, die er als seine Frau ansieht und nur ausgewählten Freiern überlässt. Während Valdirene zunehmend auf einen besonders reichen Verehrer schielt, möchte sich Brancura eine solide Existenz fern der Kriminalität aufbauen und ein unverdorbenes Mädchen heiraten.
Dieser Plan geht gründlich schief, denn auf Dauer ist Brancura für eine normale, bürgerliche Exitenz nicht geschaffen. Zur gleichen Zeit erlebt er hautnah mit, wie einige seiner aus demselben Milieu stammenden Freunde, immer wieder von der Polizei drangsaliert und misshandelt, dem Samba und dem modernen Karneval Geburtshilfe leisten. Selbst längst von dieser neuen Musik fasziniert, möchte er mit ihnen eine Sambaschule gründen und dort eigene Sambas komponieren, texten und vortragen – und den Durchbruch erleben: Für ihn und seine Freunde ist der Samba, diese rhythmusbetonte, getrommelte Musik mit Texten aus ihrem unmittelbaren Leben, eine Passion, mehr noch als Sex und die Jagd nach dem schnellen Geld. Er beginnt, seine Mädchen zu vernachlässigen.
Hilfe finden die Freunde bei Tia Amélia, einer Candomblé-Priesterin, dank deren gesellschaftlichem Ansehen sie relativen Schutz vor der Polizei genießen. Denn der Samba ist zu dieser Zeit verboten, die Musik der Schwarzen den regierenden Weißen zutiefst suspekt, sie befürchten, dass die Schwarzen sich zusammenrotten und einen Aufstand vorbereiten könnten.
Ihre ganze Welt kondensieren Brancura und seine Freunde in ihren Sambas, die sie einander und allen Mitgliedern ihrer Gemeinschaft begeistert vortragen, sobald sie fertiggestellt sind, oft von zweien, die einander ergänzen. Und dann wird einer aus ihrem Kreis von der Schallplattenindustrie entdeckt. Der Samba ist flügge geworden ...
Nicht nur um den Samba geht es in diesem Buch, wiewohl dessen Geschichte und unverwechselbarer Charakter eine Schlüsselrolle darin spielen. Nicht minder prägen all die Leidenschaften den Roman, die im Samba besungen, gespielt und getanzt werden: Liebe, alle Facetten der Erotik, Verzweiflung, Hoffnung, Hass, Eifersucht, Einsamkeit, Wut, Sehnsucht und so viele mehr. Sie prägen auch, immer wieder wechselnd und einander oft überlagernd, die temperamentvolle Beziehung zwischen Bancura und Valdirene und ähnlich jene zwischen Brancuras Konkurrent Sodré und Valdirene.
Der Autor liefert jedoch sehr viel mehr als eine historische Milieustudie, in die neben den einfachen Lebensverhältnissen, dem Kampf ums Überleben und jenem um die Liebe sowie glühende Erotik auch die religiösen und kulturellen Hintergründe der geschilderten Epoche einfließen: Eine bunte Mischung aus historischen und fiktiven Charakteren des Rio de Janeiro der 1920er-Jahre bevölkert die Geschichte und treibt sie voran; es handelt sich um authentische, sehr lebendige, geradezu plastisch gezeichnete Figuren, die auf ihre schlitzohrige Weise und in ihrer unverhüllten Menschlichkeit die Sympathie des Lesers erringen, zumal beim Kampf um ihr Recht auf ihre Passion, den Samba.
Paulo Lins, selbst mit dem Leben in den Favelas, Slums, vertraut, versteht es, den Leser zu fesseln und ihn die exotische Welt seiner Protagonisten fast hautnah, sinnlich erleben zu lassen. Ein Glossar am Ende des Buchs erweist sich hierbei als sehr hilfreich. Vor den Augen des Lesers entwickelt sich der Samba äußerst dynamisch von einer verbotenen Musikform aus den Armenvierteln hin zu dem heute allseits bekannten Tanz und Teil des ausgelassenen Karnevals. Und wie nebenbei zaubert Lins noch ein Romanende, das die Liebesgeschichte um Brancura, Valdirene und Sodré abrundet und an Schönheit und Tiefgang kaum zu überbieten ist.
Interview mit dem Autor bei Media-Mania.de
Eine
Leseprobe bietet die Verlagsseite zum Buch an.