An der Kuppelaußenwand eines grauen Atommeilers vor grauen, dampfenden Kühltürmen hängt ein verspielter Balkon. Ein weiß-roter Sonnenschirm und ein Blumenkasten sind die einzigen Farbtupfer im Bild.
Oder nehmen wir das Wohnzimmer einer etwas ungewöhnlichen Maisonette: Es ist gediegen-elegant eingerichtet. Über der giebelseitigen Wand befindet sich ein kleiner WC-Raum, dessen Abflussrohr den Fernseher in der darunter liegenden Etage speist.
Auch Kunerts Interpretation vom "Winterschlaf" verblüfft; das Foto lenkt den Blick in ein Schlafzimmer mit verschneitem, gemachtem Bett. Schnee liegt auch auf Nachtschränkchen und Boden. In das Kopfkissen ist der nostalgisch beleuchtete Zugang zu einer Unterführung eingelassen.
Das Drive-in, das auch auf dem Cover abgebildet ist, bedarf sicher keiner Erläuterung.

In "Wunderland" werden 24 Fotografien von Frank Kunert präsentiert. Seine kleinen skurrilen Welten hat der Fotograf selbst aufwändig aus den unterschiedlichsten Materialien in seiner Werkstatt gefertigt und dann kunstvoll abfotografiert. Folgerichtig widmet sich das Einleitungskapitel nicht nur der Einordnung und Deutung von Kunerts Werken und Herangehen an seine Themen, sondern auch dem "Making-of", sprich, der Fertigung der Modelle.
An den Hauptteil mit den 24 Fotografien schließt sich eine Biografie an. Alle Texte liegen auf Deutsch und Englisch vor.

Es sind verblüffende, wahrlich skurrile Mikrokosmen, die Kunert präsentiert – manche wirken fast etwas escheresk; kleine Welten, die im Prinzip so funktionieren könnten, es aber natürlich nicht tun, und die der Wahrnehmung bisweilen Streiche spielen. Und nicht nur die Konzepte an sich fesseln den Betrachter, der zu ergründen versucht, was diese erstaunlichen, absurden Welten zusammenhält, was sie antreibt, sondern auch all die liebenswerten, sorgfältig durchdachten und exakt platzierten Details, von denen manche erst bei der zweiten oder dritten Durchsicht unerwartet ins Auge stechen.
Subtile Ironie und ein kräftiger Schuss Nostalgie, gepaart mit surrealen, auch absurden Elementen, purer Schabernack, verquere Physik, Experimente mit der Logik und der bereits erwähnten Wahrnehmung, ein wenig Verspieltheit und immer wieder auch ein der Gesellschaft vorgehaltener Spiegel: in der Summe ergeben sich faszinierende Miniaturen. Ein Esszimmer, das so angelegt ist, dass die beiden Teilnehmer am "Menu à deux" einander nicht ansehen müssen beziehungsweise können, obwohl sie an derselben feierlichen Tafel sitzen, dafür aber jeder einen eigenen Fernseher zur Verfügung haben – ein feines Abbild so mancher Ehe. Der Betrachter kommt ins Grübeln.
Den Modellen beziehungsweise Kunert als Erfinder und Modellbauer muss man enormen Respekt zollen, nicht weniger jedoch dem Fotografen Kunert, der seine raffinierten Aufbauten ideal inszeniert und auch mit dem Licht zu zaubern weiß; perfekt erzeugt er Stimmungen durch die Lichtsetzung. Bildschnitt und –format passen sich ideal an die Kompositionen an.

Nicht vergessen werden sollte jedoch das einleitende, mit interessanten Werkstattfotos versehene Kapitel, das dem Leser und Betrachter Kunerts Werk und Arbeitsweise kurzweilig und informativ näher bringt, sodass er manches in den Bildern zu entdecken vermag, das ihm sonst womöglich verborgen bliebe. Die Fotos werden in diesem aparten Album ideal präsentiert, jedes erhält eine Doppelseite, sodass zum einen die Größe ausreicht, zum anderen die Konzentration auf das jeweilige Bild nicht gestört wird. Papier und Druck entsprechen der hohen Qualität, die man vom Verlag kennt.
Ein wahrer Leckerbissen für alle, die exzellente Fotografie, aber auch das Skurrile, Surreale, Absurde mögen!

Ein Blick ins Buch wird auf der Verlagsseite zum Buch angeboten.