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Zu den ersten Größen der Kriminalliteratur gehört zweifellos der Schweizer Friedrich Glauser, der mit Polizeiwachtmeister Studer eine eigenwillige Ermittlerfigur geschaffen hat. Im hier besprochenen Sammelband findet der Leser die Kriminalromane "Wachtmeister Studer", "Matto regiert", "Die Fieberkurve", "Der Chinese", "Krock & Co.", in denen Studer Morde aufklärt.
Anders als der Autor hat sich sein Polizeiwachtmeister Studer recht gut in seinem Leben eingerichtet, obwohl es eine große Zäsur gibt: die in allen Romanen um die Figur erwähnte "Bankaffäre"; Studer erwies sich hier als unbestechlich, wurde deshalb degradiert und musste in gesetztem Alter seine Karriere von vorn beginnen.
Die erste Erzählung befasst sich mit dem rätselhaften Tod eines verschuldeten, trinkenden Familienvaters, der offensichtlich nicht ungelegen kam, und dem Schweigen eines Dorfes in dieser Sache. Eine Nervenheilanstalt, deren Direktor zu Tode gekommen ist, bildet den Schauplatz von "Matto regiert", während "Die Fieberkurve" den Leser im Anschluss an den Tod zweier ältlicher Schweizer Schwestern nach Marokko führt, gewissermaßen ins Reich der Fremdenlegion.
"Der Chinese" ist eigentlich ein Schweizer, der ein Vermögen angehäuft hat und sich nun mit düsteren Ahnungen seiner Ermordung herumschlägt – die sich bewahrheiten werden. Und in "Krock & Co." geht es um einen mit einer recht bizarren Mordwaffe induzierten Tod in einem Hotel – just an dem Tag und Ort, an dem Studers Tochter ihre Hochzeit feiert. Natürlich mit einem Polizisten.
Es lohnt sich, vorab das Nachwort von Hugo Loetscher zu lesen, betitelt "Der arme Hund, der jeder von uns ist". Auch ist es interessant, sich mit Glausers Biografie vertraut zu machen, denn etliche seiner Lebensstationen finden sich im Sammelband, "Irrenanstalt", wie es früher hieß, Fremdenlegion, Armenhaus und Gärtnerschule eingeschlossen.
Glauser, den man als einen Vorläufer von Dürrenmatt sehen kann, entstammte einer reichen Familie und lernte nicht zuletzt aufgrund seiner Drogensucht die Schattenseiten des Lebens kennen: die oben beschriebenen wie auch Gefängnisse und harte Arbeit. Sein Studer mit seiner Sympathie für die Armen und Benachteiligten und so viele Nebenfiguren, liebevoll gezeichnete "kleine Leute" und mancher das Herz berührende Gauner aus Not, entstammen Glausers persönlichen Erfahrungen, und so sind seine Kriminalromane nicht zuletzt aufmerksame und kompetente Milieustudien, die die Schweiz der 1930er-Jahre ungeschönt, doch ohne aufdringliche Bitterkeit darstellen.
Studer zeigt sein Herz für das Mädchen, das einen des Mordes verdächtigten Vorbestraften liebt, für einen in der Kindheit misshandelten Fahrradhändler, der kranke Jungtiere aufzieht und mit seinem innigen Kontakt zu ihnen fast an den heiligen Franziskus erinnert, für einen einfachen Knecht, der als einziger unter den Erben nicht materialistisch denkt, und etliche andere im Grunde redliche, doch gestrandete Existenzen. Gerade bei der Skizzierung solcher Figuren zeigt sich Glausers großartige Beobachtungsgabe, gepaart mit Empathie und Melancholie. Diese Melancholie prägt zusammen mit einer eigenartigen Düsternis die Stimmung in Glausers Kriminalromanen. Auch die wohldosierte Einbindung von Schweizerdeutsch in den Dialogen trägt dazu bei.
Orte und Geschichten sowie Schicksale sind in den Romanen des Sammelbandes immer ungewöhnlich, die Handlung ist sauber und schlüssig aufgebaut, auch wenn für den heutigen Geschmack vielleicht der ein oder andere glückliche Zufall ein wenig konstruiert wirkt; so lernt Glauser mehrfach ganz zufällig auf Bahnfahrten Personen kennen, die sich für die Aufklärung seines jeweiligen Falles als Schlüsselfiguren erweisen. Glauser erzählt unaufgeregt, es gibt keine atemlose Spannung, keine wilden "Showdowns", sondern durchdachte Aktionen und eine sachlich vorgebrachte Auflösung, nachdem der Ermittler alle Puzzleteilchen zusammengefügt hat. Für den Leser bleiben aber immer noch einige Überraschungen bis ans Ende erhalten. – Also ganz gewiss keine Thriller, sondern Kriminalromane mit literarischem und psychologischem Anspruch aus der Feder eines begnadeten Erzählers und klugen Analytikers, Geschichten, die durch subtil angelegte Spannung fesseln und deren Inhalte berühren. Die Lektüre dieser Klassiker kann nur empfohlen werden, und dank der attraktiven Aufmachung des in Leinen gebundenen Buchs mit elegantem Schuber eignet sich der Sammelband auch als Geschenk für Bibliophile, die das Außergewöhnliche lieben.
Auf der Verlagwebsite gibt es zwar keine Leseprobe, aber ein Interview mit Krimiautor Hansjörg Schneider, der über seine Leidenschaft für Glausers Werke berichtet:
Hansjörg Schneider über Friedrich Glauser