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Anna Magnusson lebt in Stockholm, wo sie als Staatsanwältin arbeitet. Als ihre Familie in Lappland sie um Hilfe bittet, lässt die junge Frau die Annehmlichkeiten der Großstadt hinter sich, reicht Urlaub ein und reist nach Kautokeino an den Polarkreis. Dort soll sie als Rechtsberaterin in einem Fall vermitteln: Annas Cousin Nils Mattis, den sie zuletzt als kleinen Jungen gesehen hat, soll eine Frau vergewaltigt haben.
Anna, die ihre samischen Wurzeln eher als Bürde empfindet und zeitlebens mit Schuldgefühlen kämpft, weil sie in Schweden lebt, macht sich zähneknirschend daran, Licht in die Sache zu bringen. Rasch stellt sich heraus, dass sie als Staatsanwältin eine völlig andere Auffassung von Recht und Gesetz hat als ihre eigene Familie, die das Geschehene am liebsten nach alten Traditionen und vor allem ohne einen Prozess aus der Welt schaffen will. Dann wird das Opfer der Vergewaltigung tot auf einem Parkplatz aufgefunden. War es Selbstmord oder hat jemand versucht, die Frau zum Schweigen zu bringen? Und nicht nur Kautokeino und die eigenwillige, eisige Landschaft präsentieren sich als äußerst lebensfeindlich, als jemand einen Mordanschlag auf Anna verübt ...
Mit seinem Krimi-Erstling "Einsam und kalt ist der Tod" landete der schwedische Autor Lars Pettersson direkt einen Volltreffer: Sein Buch erhielt die Auszeichnung "Bestes schwedisches Krimi-Debüt 2012".
Tatsächlich ist der Roman ungeheuer fesselnd, und zwar weniger, weil er ein - durchaus sehr spannender! - Krimi ist, sondern weil Pettersson ein faszinierender Einblick in das Leben der Samen in der Finnmark gelungen ist. Die samische Kultur und die in Norwegen gelegene Kommune Kautokeino dürften den meisten Lesern, auch den Fans von Skandinavien-Krimis, eher unbekannt sein. Umso spannender erscheint der Konflikt, der sich hier auftut und in den die Protagonistin postwendend hineingerät: Während ihre Familie von der zunehmend unrentablen Rentierzucht lebt und gerade so über die Runden kommt, verdient Anna, die kaum samisch spricht, ihr Geld in der schicken Metropole Stockholm als Staatsanwältin. Das Wiedersehen nach vielen Jahren ist geprägt von Schuldzuweisungen und tiefsitzenden Schuldgefühlen, von Unverständnis und unausgesprochenen Enttäuschungen.
Am einschneidendsten ist aber der Unterschied zwischen Annas Empfinden, was nach dem Gesetzbuch unanfechtbar Recht und was Unrecht ist, und der nach archaischen Regeln funktionierenden samischen Gesellschaft, die seit Jahrhunderten zusammenhält, weil bestimmte Übereinkünfte eingehalten werden. Anna, deren Mutter diese Gesellschaft einst verlassen hat, um einen nicht-samischen Mann zu heiraten, markiert den Bruch mit einer Kultur, die in vielerlei Hinsicht ums nackte Überleben kämpft. In dieser Hinsicht ähnelt Petterssons Hauptfigur der Grönländerin Smilla Jaspersen aus Peter Høegs grandiosem Roman "Fräulein Smillas Gespür für Schnee".
Dass Anna sich trotz ihres Lebens in Stockholm nie komplett von ihren Wurzeln entfernt hat, wird schon früh in der Handlung in einer intensiv geschilderten Szene deutlich, in der die Staatsanwältin fernab der nächsten Stadt ein Rentier anfährt und das verletzte Tier mit einem Messer tötet - hin- und hergerissen zwischen Ekel, Mitleid und einem verstörenden Gefühl der Befriedigung.
Neben den atmosphärischen Schilderungen von Land und Leuten tritt die eigentliche Krimihandlung fast ein wenig in den Hintergrund. Statt einer linearen Mördersuche mit eindeutigen Opfer- und Täterrollen erwarten die Protagonistin und damit auch den Leser spannende Fragen über die Bedeutung von Herkunft und Tradition, kulturelle Identität und die Macht der Familienbande. Und natürlich wird es kalt, eiskalt! Bei all den Gänsehaut verursachenden Beschreibungen von Schnee und klirrender, ja tödlicher Kälte, von Fellstiefeln, schmuddeligen Scooter-Anzügen und Eis, Eis und noch mehr Eis lässt sich dieser Krimi ganz besonders gut dick eingepackt auf der heimischen Couch lesen.
Eine Leseprobe gibt es hier auf der Website des Lübbe Verlags: Einsam und kalt ist der Tod