An einem kühlen Aprilmorgen, an dem hunderte arbeitssuchende Menschen in der Hoffnung auf ein Jobangebot vor der City Hall Schlange stehen, rast ein Mann mit einem grauen Mercedes mitten in die wartende Menge, setzt zurück und fährt ein weiteres Mal hinein. Der Mercedes-Killer, wie er von der Presse später genannt wird, entkommt unerkannt; acht Menschen sterben, viele weitere werden schwer verletzt.
Ein Jahr später: Der pensionierte Detective Bill Hodges erwartet nicht mehr viel vom Leben. Er verbringt seine Tage damit, sich auf dem Sofa trashige Nachmittags-Talkshows anzusehen, Fastfood in sich hineinzustopfen und hin und wieder mit seinem Revolver zu spielen, um den Gedanken an einen schnellen Abgang zu prüfen. Doch dann findet er in der Post einen verstörenden Brief von jemandem, der vorgibt, der Mercedes-Killer zu sein - und der ihn nun offen herausfordert. Hodges, der es zutiefst bedauert, den Killer in seiner aktiven Zeit als Detective nicht geschnappt zu haben, ist fasziniert. Er beschließt, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen, nicht ahnend, dass der Mercedes-Killer noch einen weitaus größeren Coup plant als das Massaker vor der City Hall. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt ...

"Mr. Mercedes", der neuste Roman von Stephen King, ist ein Thriller mit einem klassisch zu nennenden Szenario: alternder, lebensmüder Ex-Cop gegen diabolischen, durchgeknallten Serienmörder. Das Buch lebt vom sich stetig zuspitzenden Katz-und-Maus-Spiel und von der Tatsache, dass der Mercedes-Killer, dem Bill Hodges auf der Spur ist, dem Leser fast von Anfang an bekannt ist. Es gibt kein Rätsel um seine Identität, der Roman berichtet immer abwechselnd von den Plänen des Killers und von Hodges' Vorankommen in dem Fall. Zweifellos spannende Zutaten für einen packenden Thriller - Horror oder mystische Ereignisse spielen in diesem Werk von King gar keine Rolle -, aber das Buch ist insgesamt zu gradlinig, zu vorhersehbar und die Charaktere sind zu flach, um wirklich durchgehend zu fesseln. So ertappt man sich, das Buch immer mal wieder für einige Zeit aus der Hand zu legen, weil es einfach nicht so spannend ist - für King-Fans eigentlich ein sehr ungewohntes Gefühl. Bill Hodges ist mit seinen Schlussfolgerungen immer einen Tick zu schnell an der Lösung dran und wirkt zu sehr wie der Prototyp des rechtschaffenen pensionierten Polizisten. Brady Hartsfield, der wahnsinnige Mr. Mercedes, ist einfach zu klischeehaft böse in seiner armseligen Nerdigkeit und seiner verkorksten erotischen Beziehung zu seiner Mutter. Dabei beginnt der Roman sehr vielversprechend: King beschreibt in der Eingangsszene die unschuldigen, vom Leben gebeutelten Wartenden vor der City Hall und gibt den späteren Opfern des Mercedes-Anschlags ein Gesicht. Zwar trägt er bereits hier sehr dick auf, aber dennoch ist der Leser gebannt und kann es kaum erwarten, dass die Mörderjagd losgeht. Im weiteren Verlauf bleibt es zwar spannend, aber manchmal fühlen sich die Handlungselemente wie Versatzstücke aus Geschichten an, die man bereits kennt. Und: In jedem Buch von Stephen King gibt es mindestens eine magische Szene, in denen der Autor sich regelrecht in Rage schreibt, in denen der Leser an den Seiten klebt und nicht mehr aufhören kann zu lesen - solche herausragenden Passagen, die das Herz berühren, für Tränen, Übelkeit oder grenzenlose Angst sorgen, fehlen hier.

Fazit: "Mr. Mercedes" ist ein zwar spannender, aber kein großartiger Thriller, der nach Stephen King-Maßstäben ziemlich vorhersehbar und zahm daherkommt. Der Roman ist zweifellos unterhaltsam, wirkt aber, gemessen an anderen King-Büchern, wie eine schnelle Fingerübung.


Auf der Verlags-Website gibt es eine Leseprobe: "Mr. Mercedes"