Vaelin Al Sorna ist einer der größten Kämpfer der Nordlande. Zahllose Legenden ranken sich um den berühmten Lord, unerbittlichen Krieger und verdienten Bruder des Sechsten Ordens, der unter vielen Namen bekannt ist: Schwert des Königs, junger Falke, Dunkelklinge, Rabenschatten, Hoffnungstöter.
Doch nun befindet sich Al Sorna als Gefangener des alpiranischen Kaisers an Bord eines Schiffes, das ihn seinem Schicksal entgegenbringt - in einem Duell auf einer fernen Insel soll er den sicheren Tod finden.
Während der langen Schiffsüberfahrt berichtet Vaelin Al Sorna seine Lebensgeschichte dem kaiserlichen Schreiber Verniers, der ihn begleitet und der die Ereignisse für die Geschichtsbücher aufzeichnet. Zunächst widerstrebend, dann zunehmend fasziniert lauscht Verniers der Schilderung eines Mannes, der als Junge zum Sechsten Orden gelangte, dort zum tödlichen Kämpfer ausgebildet wurde und zum Schwert des Königs aufstieg. Es ist eine Geschichte voller Intrigen und Verrat, blutiger Schlachten und dunkler Geheimnisse ...

Was für ein beeindruckender Erstling! "Das Lied des Blutes" von Anthony Ryan ist ein erstaunliches Romandebüt: ein episches Fantasywerk voller klassischer Zutaten, voller blutiger Schlachten und politischer Ränkespiele, jedoch frei von ermüdenden Klischees oder abgenutzten Bildern; ein gewaltiges Werk von mehr als 750 Seiten, das jedoch keine Längen besitzt - und das den Leser am Ende atemlos die letzte Seite umblättern und bereits gespannt auf den nächsten Teil warten lässt. Geschickt in eine Rahmenhandlung verpackt, lässt der Autor den Protagonisten seine Geschichte erzählen, die beginnt, als Vaelin noch ein Junge ist und von seinem Vater zum Sechsten Orden geschickt wird, einer strikten Glaubensgemeinschaft von Brüdern, die ausgebildet werden, um Ungläubige zu jagen und zu töten.
Bereits die ausführliche Schilderung der gnadenlosen Ausbildung Vaelins und seiner Freunde ist enorm fesselnd; man möchte das Buch nicht mehr aus der Hand legen, während man verfolgt, wie der einstige Junge an seinen Prüfungen wächst und dabei immer härter und immer desillusionierter wird. Dies setzt sich fort, bis Vaelin schließlich ein erwachsener und allseits gefürchteter Mann ist, durch einen unglückseligen Pakt an seinen König gebunden, einen intriganten und hochgefährlichen Herrscher.
Anthony Ryan baut die komplexe Handlung von sehr langer Hand auf, behält stets den Überblick über die Flut an Charakteren, die durch ihre Tiefe und ihre schlüssige Entwicklung überzeugen. Dabei sind die Figuren allesamt so lebensnah entworfen, dass es kein bloßes Gut und Böse, kein Schwarz und Weiß gibt - jeder verfolgt eigene Ziele und Pläne, jede Figur, sogar die Nebencharaktere, besitzt zahlreiche Facetten und liebens- oder hassenswerte Eigenheiten. Vor allem Vaelin Al Sorna ist eine sehr zwiespältige Figur - kein klassischer Held, der von allen geliebt wird, sondern vielmehr gefürchtet, schwer geprüft und zunehmend von Schuldgefühlen zerfressen. Auch Anthony Ryans Schilderungen von Religion und Historie, von Gesellschaft, Sitten und Bräuchen in der Welt, in der sich alles zuträgt, sind wohlüberlegt und mit faszinierenden Details ausgeschmückt.

Wer glaubt, das Fantasy-Genre hätte sich totgelaufen und hätte mit seinen Kriegen und Königen, seinen Schlachten und magischen Geheimnissen nichts Neues mehr zu bieten, wer glaubt, mit dem "Lied von Eis und Feuer" wäre alles Lesenswerte bereits abgegrast, der wird hier auf jeden Fall eines Besseren belehrt. Ein großartiger, sehr spannender Roman, der trotz seiner beachtlichen Länge - und immerhin handelt es sich nur um den ersten Teil einer hoffentlich viel längeren Geschichte - nie ermüdet, sondern immer wunderbar unterhält. Für Fantasy-Fans unbedingt lesenswert!

Im Englischen ist bereits der zweite Teil von "Rabenschatten" unter dem Titel "Tower Lord" erschienen.


Zur Leseprobe bei Klett-Cotta: "Das Lied des Blutes"