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Menschliches Bewusstsein beziehungsweise Denken und die Sprache sind sehr eng miteinander verknüpft – das wird kaum jemand leugnen. Ob allerdings die Sprache das Denken bedingt oder umgekehrt, darüber streiten die Gelehrten ebenso wie über das Ausmaß der gegenseitigen Abhängigkeit.
In ihrem Buch "Das Alphabet des Denkens" gehen die Wissenschaftsjournalistinnen Stefanie Schramm und Claudia Wüstenhagen den Erkenntnissen von Linguisten, Psychologen und Hirnforschern durch die Zeitläufte nach und befassen sich insbesondere mit neueren und neusten Ansätzen. Dabei arbeiten sie sich vom Kleinen zum Großen vor, beginnend mit den kleinsten Einheiten der Sprache, den Lauten, und hin zu den verschiedenen Sprachen als solche. Eingeteilt ist das Buch in die Abschnitte "Wie Wörter wirken", "Was Wörter über uns verraten" und "Wie wir Wörter für uns nutzen können". Jedes dieser Kapitel besteht aus drei Untereinheiten.
Vom Klang der Sprache über die Macht von Metaphern, der Formung des Denkens durch den Wortschatz einer gegebenen Sprache und mögliche Rückschlüsse von der Wortnutzung auf die Persönlichkeit von Sprechenden und Schreibenden bis hin zur Manipulation durch Politiker und Werbung mithilfe der sprachlichen Mittel, der heilenden Wirkung von Sprache in Wort und Schrift bei Traumata und der Chance, die kognitiven Möglichkeiten und kulturellen Kenntnisse durch Fremdsprachenerwerb zu fördern: "Das Alphabet des Denkens" schlägt einen beachtlichen thematischen Bogen. Da sich zwischen den einzelnen Kapiteln einige Schnittmengen ergeben, stellen die Autorinnen immer wieder Bezüge her, dank derer manches Thema aus recht unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet wird.
Ohnehin ist die Linguistik ein Feld, das mittels sehr unterschiedlicher und teils auch einander widersprechender Ansätze beackert wird. Kommen dann noch die Hirnforschung und die Psychologie hinzu, so ergibt sich eine Fülle an oft erbittert geführten Kontroversen. Die wichtigsten Forscher und Schulen mit ihren Erkenntnissen und wissenschaftlichen Meinungen werden von den Autorinnen im jeweiligen thematischen Kontext vorgestellt, sodass der Leser einen Eindruck von ihrer Arbeit gewinnt. Freilich zeigt sich immer wieder, dass zu vielen Fragen längst noch keine unanfechtbare Antwort gefunden ist. Doch allein schon die Fülle an brillant konzipierten Experimenten, die Diskussionsbeiträge lieferten, vermag den Leser zu faszinieren.
Eindeutig sind hingegen die Schlussfolgerungen etwa hinsichtlich der raffinierten Mittel, derer sich Politiker und andere "Meinungsverkäufer" bedienen, um Wählerstimmen oder Anhänger zu gewinnen (es gibt auch einige Gegenbeispiele, nämlich zum Beispiel dafür, wie man allein durch ungeschickte Wortwahl einen Wahlkampf gründlich "versemmeln" kann), oder in Bezug auf den positiven Einfluss von Zweisprachigkeit auf die kognitiven Fähigkeiten.
Der Leser unternimmt spannende Ausflüge zu kleinen, weitgehend isolierten indigenen Völkern im brasilianischen Regenwald und in Australien sowie zu etlichen großen Sprachen und den damit verbundenen Kulturen und lernt erstaunliche Wechselwirkungen zwischen der Umwelt von Menschen, ihrem Wortschatz, der sprachlichen Syntax und der Denkweise kennen. Er dringt in die Tiefen des Gehirns und seiner mit der Sprache direkt oder indirekt verknüpften Areale vor und befasst sich mit den wohltuenden Auswirkungen des Gebrauchs von Schimpfwörtern.
All diese Inhalte werden ausreichend differenziert und gleichzeitig unterhaltsam dargeboten; Vorkenntnisse sind nicht vonnöten. Die fesselnde Darstellung der ohnehin faszinierenden Themen und die gute Verständlichkeit machen das Buch zu einer wertvollen Lektüre.
Eine Leseprobe wird auf der Verlagsseite angeboten.