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Ein historisches Ereignis, das heute fast vergessen ist: Das Seine-Hochwasser von 1910 bildet den Hintergrund der Graphic Novel "Sequana", die in düsteren Bildern die Begegnung dreier Schicksale erzählt und den Leser in ein anderes Paris eintauchen lässt.
Im Januar 1910 will Jean Faure die Stadt Paris verlassen, weil er vor der Polizei auf der Flucht ist. Ihm wird vorgeworfen, einen Mord begangen zu haben. Zugleich will Alice Treignac gegen den Wunsch ihres Vaters in der Stadt bleiben, die droht im Hochwasser unterzugehen. Sie will unbedingt Ärztin werden und die dazu anstehenden Prüfungen absolvieren. Doch als sie mit Jean Faure zusammentrifft, nimmt ihr Schicksal eine andere Wendung. Sie wird in eine Intrigen- und Kriminalgeschichte hinein gezogen, die sich noch verkompliziert, als sie sich mit der Angelegenheit des Pariser-Bischoffs Chelles kreuzt. Dieser glaubt, das Hochwasser beschworen zu haben und interpretiert es als eine neue Sintflut, in der die Sünden der Menschheit weggespült werden sollen. Sein Wahnsinn droht für Jean Faure zur Katastrophe zu werden ...
Léo Henrys und Stéphane Pergers Graphic Novel "Sequana" ist ein zeichnerisch und erzählerisch dichter und stimmiger Comic. Er überzeugt sowohl durch seine großartigen Bilder wie durch seine spannende Geschichte, die großartig aufeinander abgestimmt sind.
Die Geschichte der Hauptfiguren, Jean, Alice und Chelles sind jede für sich spannend, zusammen bilden sie eine Art soziologische Milieu-Studie der Pariser Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Ein Arbeiter, der wegen Mordes gesucht wird und eine Frau, die Ärztin werden will. Beide versuchen, sich ein Leben gegen die herrschenden Zustände ihrer Zeit aufzubauen. Die Ungerechtigkeiten und sozialen Missstände der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg schwingen durch die gesamte Handlung des Buches. Die dritte Hauptfigur, ein Bischoff, eine Stütze der herrschenden Gesellschaft, nimmt diese Missstände wahr, doch vermag sie in seinem religiösen Eifer nur als Sünden zu begreifen, die durch eine neue Sintflut weggespült werden müssen. Er verfällt angesichts der Zustände in der Welt in Wahnsinn. Die Geschichte dieser drei Protagonisten und ihr Zusammentreffen erlaubt es dem Leser in eine komplexe soziokulturelle Welt einzutauchen, die ein anderes als das heute so romantisch verklärte Paris zeigt.
Henry und Perger haben für diese Darstellung eine große Recherchearbeit geleistet. Das merkt der Leser auf jeder Seite. Eine Reihe historischer Personen werden erwähnt, so zum Beispiel Raoul Villain, der spätere Mörder von Jean Jaurès, oder der Komponist Claude Debussy. Die Ereignisse um das Seine-Hochwasser werden erwähnt und in die Handlung eingebaut. Umrahmt wird das alles von Bildern, die auf Fotos der Flut basieren. Das alles gibt der Geschichte, auch wenn sie fiktiv ist, ein großes Maß an Authentizität. Dies wird noch ergänzt durch eine gezeichnete Ausgabe einer Zeitschrift namens "Die Flut", die im Anhang abgedruckt ist und eine historische Chronologie der Ereignisse liefert und umrahmt ist von einer Menge Annoncen und Abbildungen in dem Stil damaliger Zeitungen.
Obwohl Handlung und Recherche allein schon großartig sind, das eigentlich Herausragende an dieser Graphic Novel sind die Zeichnungen und die Kolorierung von Stéphane Perger. Sie vermitteln durch den gesamten Comic hindurch eine stimmige und düstere Endzeit-Atmosphäre. Regen und riesige Überschwemmungen, in denen sich die Pariser Wahrzeichen in einem tristen Grau spiegeln, sowie ernste und vom Schicksal gezeichnete Gesichter charakterisieren diesen Comic. Durchweg entsättigte Farben, die nur an dramatischen Stellen durch ein starkes Gelb oder Rot ersetzt werden, verstärken die dunkle Stimmung zusätzlich. Ganzseitige Panorama-Bilder wechseln sich in dem vielseitig gestalteten Band mit kleineren Abbildungen ab, die gerne auch mal ineinander übergehen. Durch diesen unkonventionellen Stil stechen viele Seiten durch ihre originelle Gestaltung heraus.
"Sequana" ist eine großartige Graphic Novel. Eine tolle Geschichte, die den Leser in ein überschwemmtes und von sozialen Konflikten geprägtes Paris führt, und ein künstlerischer Stil, der diesen Hintergrund auf faszinierende und originelle Weise einfängt. So hat man Paris sicher noch nicht gesehen!
Eine Leseprobe gibt es auf der
Verlagswebsite.