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 Euphoria

Autoren: Lily King
Übersetzer: Sabine Roth
Verlag: C. H. Beck

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Nell Stone, eine erfolgreiche Ethnologin, ist mit ihrem Mann Fen in Neuguinea unterwegs, um einzelne abgelegene Stämme der Eingeborenen zu erforschen. Vor einem davon mussten die beiden schließlich fliehen. Bei einer Weihnachtsfeier stoßen sie auf Andrew Bankson, der als etablierter Ethnologe vor Ort gewissermaßen Anspruch auf ein enormes Flusstal erheben kann. Er sehnt sich nach über zwei Jahren mäßig erfolgreicher Feldforschung nach Gleichgesinnten, während Nell und Fen eher jemanden benötigen, der ihnen, wenn man das so nennen kann, einen erforschbaren Stamm zur Verfügung stellt.

Schließlich sind es die Tam, die Bankson dem Ethnologenpaar anbieten kann, ein eher ruhiger Stamm, weiblich dominiert und recht offen gegenüber den Fremden. Bankson spürt die Spannungen zwischen Nell und Fen, die offensichtlich durch eine Art Amour fou zusammengeführt wurden und ganz gegensätzliche Arbeitsweisen und Auffassungen vertreten, was Fens Neid auf Nells Erfolge und unkonventionelles Denken nur verstärkt. Es kann nicht ausbleiben, dass sich Bankson in die verheiratete Kollegin verliebt, und als das Glück greifbar zu sein scheint, zerstört Fen durch eine egoistische Aktion das gesamte Forschungsprojekt.

Wer sich einmal mit der berühmten und nicht unumstrittenen Anthropologin Margaret Mead befasst hat, wird diese unschwer in Lily Kings Protagonistin wieder erkennen, physisch angegriffen durch die Schinderei in der Feldforschung und zugleich stark in Bezug auf Geist und Psyche. Andrew Bankson, der offensichtlich Pate stand für Meads zweiten Ehemann – so viel sei verraten, hier führt die Geschichte nicht hin! -, ist die eigentlich zentrale Figur, die den Kitt für die gesamte Story bildet. Er fungiert auch als Ich-Erzähler und vermag die beiden anderen aus einer gewissen, sich freilich mit der Zeit gegen Null bewegenden Distanz zu beobachten. Immer wieder streut die Autorin jedoch auch Nells Aufzeichnungen ein, die wiederum Bankson zur zu studierenden Figur werden lassen. Somit gerät letztlich Fen zum Objekt der Erzählung, er, den die beiden scheu Verliebten schließlich nur noch als Gegebenheit und vor allem als Hemmnis wahrzunehmen scheinen.

Lily King versteht es, diese sonderbare Dreiecksbeziehung fernab der Zivilisation, in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts angesiedelt, glaubwürdig und bestürzend darzustellen. Natürlich haben die "Eingeborenen" ihre Auftritte, und sie werden ernst genommen, hier sieht man sie durch Nells Brille – einerseits mittels Empathie und dem Willen, dazuzugehören, andererseits als Forschungsobjekte. Ähnlich muss Margaret Mead vorgegangen sein, verlässt man sich auf die einschlägige Literatur. Im Nachwort erläutert die Autorin, wo die Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion verläuft, was man also als Fakt hinnehmen kann und wo die reine Erzählung ansetzt. Sie hat geschickt agiert und diese Grenze fließend gestaltet.

Ein bisschen schmerzlich berührt den Leser jedoch der Fakt, dass Nell zu ihrem in der ein oder anderen Hinsicht durchaus sehr egoistischen und brutalen Ehemann steht und Bankson zwar ihre Liebe zeigt, die langfristige Erfüllung jedoch verweigert. Das passt nicht recht zum Bild einer so unabhängigen, eigenständigen Frau, das zuvor gezeichnet wurde.

Lokalkolorit in glaubwürdiger und sicher auch gut recherchierter Form gibt es also reichlich und dazu eine klassische Dreiecksbeziehung im Spannungshorizont von Forschung und erwarteten Ehrungen. Vor allem aber geht es um zwischenmenschliche Beziehungen – kulturübergreifend in ihrem gewaltigen Spektrum zwischen Ekstase und abgrundtiefem Schmerz. Dies ist es, womit dieser Roman ganz besonders punkten kann: Der Verlust eines geliebten Menschen äußert sich in einem abgelegenen Flusstal von Neuguinea nicht viel anders als unter westlich geprägten Intellektuellen. Letztlich werden wir alle auf einige grundlegende Emotionen reduziert, ob wir nun Forscher sind oder Fischerinnen oder Jäger oder Kinder, die eigentlich das Leid noch nicht kennen sollten.

Rundum lesenswert!

Eine Leseprobe bietet die Verlagsseite.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 10. September 2015 | ISBN: 9783406682032 | Originaltitel: Euphoria | Preis: 19,95 Euro | 262 Seiten | Sprache: Deutsch

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