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Musik verbindet – diese Erfahrung machen die Ärztin Carolien, ihr Mann Jochem, Caroliens Mitarbeiterin Heleen und Hugo, Leiter des örtlichen Kulturzentrums, seit längerer Zeit. Die Amateurmusiker treffen sich wöchentlich als Streichquartett und genießen es, ohne Worte miteinander etwas Anspruchsvolles zu erarbeiten. Es kommt immer wieder zu Herausforderungen, etwa, als Carolien und Jochem einen schrecklichen Verlust erleiden, oder als Hugo aufgrund von Einsparmaßnahmen seine Arbeit verliert.
Ein weiterer Handlungsstrang befasst sich mit dem alternden Cellisten Reinier, den die Quartettmitglieder kennen – oder auch wieder nicht, denn was wissen sie schon über seine Nöte, seine Hilflosigkeit in der technikbetonten Welt und die Angst vor der Abschiebung ins Altersheim.
Dann explodiert die Geschichte. Unerwartet werden die vier Quartett-Musiker und Reinier Teil eines brutalen Dramas.
Es sind vier ganz unterschiedliche Menschen, die sich regelmäßig auf Hugos Hausboot treffen, um miteinander zu musizieren. Heleen ist eine treu sorgende, etwas naive Mutter und Ehefrau, die ohne Probleme alles rund um Familie und Beruf "managt". Hugo hat seine Scheidung verkraftet und kümmert sich nach besten Kräften um seine kleine Tochter. Carolien und Jochem haben nach einem schweren Verlust verlernt, miteinander zu kommunizieren. Dies gelingt im Alltag allenfalls rudimentär, aus einer alten Verbundenheit heraus, während sie musizierend miteinander und den Freunden im Einklang sind.
Sie alle haben eine persönliche Verbindung zum alten, einst berühmten Cellisten Reinier, der kaum noch in der Lage ist, selbstständig in seinem Haus zu leben. Reinier weiß, dass die Behörden ihn mittlerweile dazu zwingen könnten, in ein Altersheim umzuziehen. Im
Interview erwähnt die Autorin, dass sich die Gesellschaft in ihrer niederländischen Heimat einer solchen Praxis zunehmend annähert; im Roman hat sie sich sehr sensibel in die Seele und Gefühlswelt eines alten, einsamen und recht hilflosen Menschen hineinversetzt und zeigt die Verzweiflung solcher einst "nützlicher", nun nur noch "lästiger" Mitglieder einer ichbezogenen Gesellschaft auf.
Reiniers Angst vor den staatlichen Institutionen bringt ihn dazu, selbst einem ganz uneigennützig auftretenden Migrantenjungen zu misstrauen, der von seinem Musizieren fasziniert ist und ihm einfach nachbarschaftlich helfen möchte, weil er so erzogen wurde und weil es in seinem Wesen liegt; als Gegenleistung erhofft er sich allenfalls ein wenig Musikgenuss. Hier tritt Anna Enquist den Klischees in Bezug auf südländische Migranten vehement entgegen und schafft eine anrührende, natürliche Figur, die Hoffnung spendet und andeutet, wie ein gelungenes Miteinander von Bürgern mit jeweils ganz unterschiedlichem Hintergrund aussehen könnte.
Alle Protagonisten schleppen sich durch ihr jeweiliges Leben, dessen Herausforderungen allenfalls Heleen bislang ohne größere Verwundungen gemeistert hat, und nur die Musik fungiert noch als Bindeglied zwischen ihnen - selbst zwischen den Eheleuten Carolien und Jochem. Die Musik erlaubt Nähe ohne Worte, steckt gemeinsame Ziele, spendet Trost, weist jedem seine Aufgaben und seine Bedeutung zu.
Als die vier gemeinsam in höchste Lebensgefahr geraten, zeigen sich ganz unterschiedliche Charaktere: Einer schlägt blindlings drauflos, einer möchte weglaufen, eine zieht sich tief in ihr Innerstes zurück, und die andere glaubt naiv an ein gutes Ende. Niemand handelt "richtig"; die Autorin bietet in dem fast surreal anmutenden Abschnitt spannende, so geschickt wie einfühlsam konstruierte Einblicke in die Abgründe jeder einzelnen Psyche und lässt das durch die Musik heraufbeschworene Einssein wie ein Kartenhaus zusammenfallen.
Der Mensch in Extremsituationen, der Mensch mit seiner eigenen kleinen Hölle: Anna Enquist leuchtet tief in die Schatten hinein. Eine tiefgründige Geschichte, ein verstörend realistischer Roman.
Eine
Leseprobe bietet die Verlagsseite.
Interview mit der Autorin auf Media-Mania.de