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Unbestreitbar gehört Stalin zu den Persönlichkeiten, die das 20. Jahrhundert entscheidend mitgeprägt haben; zu den Diktatoren, deren Schreckensherrschaft Millionen Menschenleben kostete. Darzustellen, wie ein solches Terrorregime - und eine solche Persönlichkeit - funktionierte, ist nicht einfach. Nun hat Siedler eine neue Stalin-Biografie herausgebracht, verfasst von einem ukrainischen Autor. Bei der deutschen Ausgabe handelt es sich um die Übersetzung des englischen Originals.
Ein Inhaltsabriss erübrigt sich im Grunde, denn wer sich für Stalin interessiert, kennt auch dessen Leben in groben Zügen, und dieses ist erwartungsgemäß Gegenstand der Biografie. Kindheit und Jugend des aus einfachen Verhältnissen stammenden Iosseb Dschugaschwili in Georgien, gar eine Ausbildung im Priesterseminar, der Weg hin zum Revolutionär und schließlich an Lenins Seite, einige Rückschläge inklusive; Stalins geschicktes Ausschalten anderer potenzieller politischer Erben Lenins, Terror und induzierte Hungersnöte, schließlich der Krieg mit schrecklichen Verlusten und letztlich dem Sieg. Danach das "Bröckeln", nicht zuletzt gesundheitlich bedingt. Und keine zehn Jahre nach Kriegsende Stalins Tod. Ergänzt wird der Hauptteil von einem recht umfangreichen Vorwort und dem Anhang, bestehend aus Dank, Anmerkungen und Register.
Ungewöhnlich für eine Sachbuch-Biografie besteht das hier besprochene Werk aus zwei "Handlungssträngen", um einen Begriff aus der Belletristik zu entleihen. Zum einen geht der Autor weitgehend chronologisch vor, erläutert also die Entwicklung vom Kind, Jugendlichen, jungen Mann bis hin zu dem Diktator, der eine beispiellose Schreckensherrschaft errichtete - und schließlich wohl auch aufgrund häufiger alkoholischer und kulinarischer Exzesse zunehmend krank wurde. Jedem Kapitel wird ein Abschnitt zur Seite gestellt, in dem Stalins letzte Tage und Stunden den Aufhänger bilden für Betrachtungen etwas abseits der "strengen" Biografie, Betrachtungen, die es ermöglichen, den Menschen Stalin und seinen Apparat etwas besser zu durchschauen.
Neuere Werke über Stalins Leben werden durchaus wesentlich von Material aus erst nach der Wende geöffneten Archiven geprägt, die das Schulwissen noch mit dem Kalten Krieg aufgewachsener Interessierter zum Teil auf den Kopf stellt, zumindest aber um viele überraschende Facetten ergänzt. Das gilt auch für Chlewnjuks Buch. Bei der Lektüre erschließen sich immer wieder größere Zusammenhänge, wird manche Entscheidung verständlicher - und manch andere weiterhin nicht, da Stalin nicht berechenbar war. Insgesamt überzeugt der rote Faden, der sich durch das Buch zieht, oder, wie man es nimmt, es überzeugen die beiden roten Fäden, die parallel gesponnen werden.
Im Vorwort erwähnt der Autor, dass er ein Buch von einem Umfang schreiben wollte, der im angenehm lesbaren Bereich bleibt, keinen "Schinken", der jeden freiwilligen Leser abschrecken und auf ewig im Regal einstauben würde. Das ist Chlewnjuk gelungen, freilich auf Kosten der Tiefe an der ein oder anderen Stelle und bisweilen auch auf Kosten der Breite. Der wirklich Interessierte wünscht sich dann mehr Informationen, mehr Interpretation, mehr Quellen, mehr Vergleiche. Doch für einen umfassenden Überblick reicht diese Biografie völlig aus. Ein Stück weit wird zudem Stalins psychopathische Persönlichkeit verständlich, wenngleich es letztlich rätselhaft bleibt, wie er sich so rasch so unangreifbar machen konnte. Seine häufig destruktiven Eingriffe in die Wirtschaft und während des Kriegs in die militärische Strategie und Planung werden ebenso dargestellt und interpretiert wie sein Vorgehen gegenüber potenziellen Rivalen, nicht zuletzt ehemaligen Oppositionellen, von denen er den Apparat gründlich "säuberte", missliebige Politbüromitglieder inklusive. Natürlich gilt auch dem Terror gegenüber den Bauern ein ausführliches Kapitel.
Diverse Fotos aus allen Lebensphasen Stalins ergänzen die Texte, aber es ist vor allem Chlewnjuks angenehmer Stil, der alles zu Trockene aus der Biografie fernhält und sie zu einer spannenden und aufschlussreichen Lektüre für Laien macht, die sich für Stalin und seine Ära interessieren. Umfangreiche und aktuelle Informationen sowie eine geschickte Aufbereitung sorgen für ein nachhaltiges Leseerlebnis.
Einen Blick ins Buch bietet die Verlagsseite.