Plötzlich ist die junge Sefia ganz alleine auf der Welt. Ihre Tante Nin wurde von Soldaten entführt, die ihr ein Geheimnis entreißen wollten. Ob es etwas mit dem geheimnisvollen Gegenstand zu tun hat, den Sefia seit dem Tod ihrer Eltern mit sich herum trägt? Das Mädchen ist fest entschlossen, ihre Tante wiederzufinden und zu befreien. Auf ihrem Weg trifft sie auf einen Jungen, der - halbwild - als Kämpfer missbraucht wird und kein Wort mehr spricht. Zusammen mit Archer, wie Sefia den Jungen bald nennt, durchquert sie das Land, in der Hoffnung Hinweise auf den Verbleib ihrer Tante zu finden, doch das Rätsel ihrer Herkunft ist weit größer, als sie ahnt.
"Dies ist ein Buch" - So lauten die ersten Worte, die Sefia entziffern kann, als sie sich selber das Lesen beibringt. Ganz ungefährlich ist das nicht, immerhin wurde ihre Tante Nin eben wegen dieses Buchs entführt. Aber welche Macht steckt hinter den aufgeschriebenen Worten, dass eine ganze Armee versucht, das Buch zu finden? Immerhin, es ist das einzige in Kelanna. Nirgends sonst findet sich Geschriebenes; Geschichten werden nur weitererzählt und niemals irgendwo festgehalten.
Sefia ist nicht einmal sechzehn Jahre alt und schon viele Jahre zusammen mit ihrer Tante auf der Flucht, als beide durch einen dummen Fehler entdeckt werden und ihre Tante wird ihre Freiheit deswegen verlieren. Kein Wunder, dass Sefia um jeden Preis wissen will, was es mit dem Buch auf sich hat - ist Tante Nin doch nach Sefias Eltern bereits die dritte Person, die mit ihrem Leben dafür bezahlen soll, ein Geheimnis zu schützen.
"Ein Meer aus Tinte und Gold" ist der erste Teil des Buchs von Kelanna, ist aber eine in sich geschlossene Geschichte und was für eine. Die Stimmung des Buchs ist poetisch, manchmal melancholisch, manchmal aber auch etwas rau, etwa wenn Sefia auf den Jungen trifft, der sie fortan auf ihrer Suche begleitet. Immer aber hat der Ton etwas Märchenhaftes. Gleiches gilt auch für die anderen beiden Erzählperspektiven, aus denen die Handlung erzählt wird, denn Autorin Traci Chee springt zwischen verschiedenen Orten und Personen hin und her, sodass der Leser immer wieder Kleinigkeiten erfährt und sich das Rätsel, welches das Buch umgibt, selber zusammenreimen kann. Da es eine Weile dauert, bis die Erzählstränge zueinander finden, kommt zwischendurch schon mal die eine oder andere Länge auf, doch es lohnt sich, das Buch nicht auf Seite zu legen, denn die Idee zu der Geschichte ist außergewöhnlich.
Sehr schön ist in diesem Zusammenhang, dass auch die Gestaltung von "Ein Meer aus Tinte und Gold" der Handlung entspricht. Ein derartig liebevoll gestaltetes Buch findet sich selten und das betrifft nicht nur die sehr gelungene Covergestaltung. So sind die Seiten, die Sefia aus ihrem Buch vorliest, dunkler gestaltet als die eigentliche Geschichte. An den Seiten befinden sich "Fingerabdrücke" und als eine Erinnerung so grausam ist, das Sefia sie nicht zulassen möchte, ist der entsprechende Abschnitt im Buch geschwärzt, als hätte das Mädchen die Ereignisse buchstäblich aus ihrem Gedächtnis gestrichen.
Es ist in jeder Hinsicht ein Vergnügen, Sefias Abenteuer zu lesen, so düster es auch sein mag. Wenn sie dann am Ende erfährt, was es mit ihrer Herkunft auf sich hat, dann wird es Zeit, auf den Anfangssatz zurück zu kommen: Dies ist ein Buch. Und was für eins.
Eine Leseprobe ist auf der Verlagsseite zu finden.