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Mit einer Doppelausstellung führten die Nationalsozialisten im Jahre 1937 in München vor Augen, wie zeitgemäße Kunstwerke auszusehen haben und wie nicht. Denn während im Hofgarten die sogenannte "Entartete Kunst" zu sehen war, wurden die Werke der "Linientreuen" im benachbarten "Haus der Deutschen Kunst" präsentiert. Waren bislang in Kunstbänden vor allem die Werke der erstgenannten verfemten Künstler zu sehen, so stellt der vorliegende Ausstellungsband die "artige Kunst" in den Mittelpunkt. Die Macher der Ausstellung bedienen sich dabei in Anlehnung an den Sprachgebrauch der Nationalsozialisten eines Wortspiels. Denn den Begriff "artig" hat es so nicht gegeben, soll aber den Gegensatz zur "entarteten" Kunst ausdrücken. Zugleich rekurriert dieser auf das englische Wort "art" für Kunst, stellt dies jedoch mit der Endung -ig sogleich in Frage. Nicht zuletzt drückt "artig" im Sinne des deutschen Adjektivs aus, dass diese Künstler wie Kinder "artig" der Parteilinie folgten.
Wodurch zeichnet sich diskriminierendes Kunst- und Kulturverständnis aus? Gibt es Grundformen, Ikonografien und Semantiken einer faschistischen Ästhetik? Gibt es Bilder, die für liberale Demokratien womöglich eine Gefahr darstellen?
Es ist verständlich, dass eine öffentliche Beschäftigung mit den von den Nationalsozialisten gutgeheißenen Werken lange Zeit vermieden wurde. Zu groß war die Angst, diese salonfähig zu machen oder sogar deren propagandistische Wirkung aufs Neue wiederauferstehen zu lassen. Gleichwohl bedeutete diese Abstinenz aber eine unvollständige Auseinandersetzung mit der NS-Kunstpolitik und verhinderte eine differenzierte Betrachtung derselbigen. So ist die Entscheidung, die Werke der "arttreuen" Künstler ins Museum respektive in einen dazugehörigen Ausstellungskatalog zu bringen, zwar eine mutige Entscheidung, zugleich aber auch eine notwendige – zumal die Werke nicht einfach so in den Raum geworfen, sondern durch sechs begleitende Aufsätze fachgerecht kontextualisiert werden.
Die Aufsätze gehen dabei unter anderem der Frage nach, warum sich Künstler thematisch und stilistisch bereitwillig an die Gepflogenheiten der Zeit anpassten. Stephanie Marchal und Andreas Zeising untersuchen dagegen anhand einer Fallstudie zur Zeitschrift "NS-Frauenwarte" die andere Seite der Medaille, indem sie danach fragen, wie es den Nationalsozialisten gelang, die Deutungshoheit über die Kunst zu erlangen. Nicht zuletzt zeigt Christian Fuhrmeister in seinem abschließenden Aufsatz, dass das Verhältnis zwischen Kunst und Politik auch im nationalsozialistischen Deutschland weitaus vielschichtiger war als es die zeitgenössische Lesart suggerierte. Eine Haltung, die im Übrigen bislang von wissenschaftlichen Abhandlungen weitergeführt worden sei.
[...] das Verhältnis von Kunst und Politik ist vielschichtiger und komplexer, die ästhetischen Erscheinungsformen heterogener und widersprüchlicher, als das bislang tradierte Narrativ uns glauben machen will.
Neben der katalogartigen Präsentation von "artigen" Kunstwerken zeigt der Band als Vergleichsfolie auch eine Zusammenstellung von Gegenentwürfen, also von jenen Werken, die von den Nationalsozialisten als "artfremd" eingestuft wurden. Eindrücklich wird hier gezeigt, dass die NS-Kunstpolitik keinen Platz für moderne, avantgardistische Kunstformen hatte, sondern auf idealisierte Darstellungen und Uniformität bestand. Auch Überraschendes hat der Band zu bieten. Denn Soldaten oder militärische Motive sowie diffamierende Bildmotive suchen die Betrachter über weite Strecken vergebens. Stattdessen finden sich eine Glorifizierung des einfachen Landlebens, eine Anlehnung an die religiöse Bildsprache sowie nackte Tatsachen(!). Nationalsozialistische "artige" Kunst erweist sich daher als weitgehend unpolitische, auf den kleinbürgerlichen Geschmack, auf Unterhaltung abzielende Kunstform. Wie sehr dies alles von der eigentlichen Realität entfernt war, offenbaren jedoch einzelne, unvermittelt in die Bildtafeln eingefügte Fotografien, so zum Beispiel von einem Jungen, der eine von Leichen flankierte Straße entlanggeht.
Sowohl die einzelnen begleitenden Aufsätze als auch die in der Regel einseitigen Erläuterungen zu den präsentierten Kunstwerken zeugen von einer analytischen Schärfe, welche klar und pointiert inhaltliche und formale Aspekte offenlegen. Mechanismen der Ausblendung und Verharmlosung werden dabei genauso angesprochen wie Ambivalenz und Kunstfertigkeiten in den Werken verfolgter Künstler. Sehr interessant ist auch, dass Herkunft und die Karriere der jeweiligen Künstler nach 1945 ebenfalls kurz erwähnt werden, sodass Überdauerndes beziehungsweise Umbrüche deutlich werden.
Wie bereits deutlich geworden sein sollte, konzentriert sich der Band weitgehend auf die Malerei, wenngleich einzelne Skulpturen abgedruckt werden und der Aufsatz "Pose und Indoktrination" von Max Imdahl sich neben Gemälden auch auf Plastiken bezieht. Unabhängig davon sind sämtliche Kunstwerke in hervorragender Druckqualität abgebildet, was den insgesamt sehr gelungenen Band genauso würdig abrundet wie die englische Übersetzung der im Buch befindlichen Aufsätze.
FAZIT: Ein mutiger Ausstellungsband, welcher Form, Konzeption und Kontext der von den Nationalsozialisten für gutgeheißene Werke und Künstler mit analytischer Schärfe umreißt und gerade in der Gegenüberstellung mit den Werken der verfemten Künstler verdeutlicht, wie nationalsozialistische Kunst auszusehen hatte - und wie eben nicht.
Weitere Informationen zum Buch finden sich auf der Webseite des Verlags.
Nach der Präsentation der Ausstellung in den Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum ("Museum unter Tage", "Situation Kunst") samt reichhaltigem Begleitprogramm ist diese ab April beziehungsweise Juli 2017 auch in der Kunsthalle Rostock sowie im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg zu sehen.