Als Karl Freiherr von Drais am 29. Juli 1817 in Mannheim zur Jungfernfahrt mit seinem Zweirad aufbrach, war dies der örtlichen Zeitung nicht einmal eine Randnotiz wert. Lediglich eine vermutlich selbst lancierte Anzeige im sogenannten "Badwochenblatt" zeugt von dem Ereignis, welches eigentlich zur damaligen Zeit gar keines war. So verwundert es nicht, dass Drais' Laufmaschine - ja, der Fahrer hatte damals noch Bodenkontakt - zu Lebzeiten des Erfinders kein Erfolg beschieden war. Doch die Zeiten haben sich verändert und heute ist das Fahrrad, dessen Ursprünge Drais zu verdanken sind, kaum mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Daher widmet sich die diesjährige Landesausstellung Baden-Württembergs, welche noch bis zum 25. Juni 2017 im Technoseum, dem Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim, zu sehen ist, jener zunächst sehr befremdlich wirkenden Apparatur, bei der die Nachfolger von Drais gar wagten, den sicheren Kontakt zum Boden aufzugeben, um balancierend die Welt zu erkunden.
Der zweitgeteilte Begleitband zur Ausstellung ist im Theiss Verlag erschienen. Während im ersten Teil unterschiedliche Essays sowohl die Geschichte des Fahrradfahrens als auch dessen technisch-physikalischen Eigenschaften darlegen sowie einen Blick in die Gegenwart und Zukunft geben, bleibt der zweite Teil den Ausstellungsexponaten vorenthalten. In vier Abschnitten werden dabei die Drais’schen Anfänge ebenso gewürdigt wie die Weiterentwicklung des Fahrrads zum Sportgerät und Massenverkehrsmittel, welches jedoch alsbald mit dem Automobil einen neuen Rivalen erhielt, bis schließlich ein neues Umweltbewusstsein eine neuerliche Renaissance des Zweirads zur Folge hatte.
Wie konnte es anders sein: Schirmherr dieser Ausstellung zur (Erfolgs-)Geschichte des Fahrrads ist kein geringerer als Winfried Kretschmann, der erste grüne Ministerpräsident Deutschland. Ein Zufall - vielleicht. Dennoch passt dieser Band zur gleichnamigen Ausstellung einfach wunderbar zum „grün“ regierten Baden-Württemberg. Und ja - es ist eine ungewöhnliche Geschichte, welche die Essays des Bandes zu erzählen haben: von einem Erfinder, der lange Zeit als solcher verkannt wurde; von der langwierigen Entwicklungsgeschichte des Fahrrads, wie wir es heute kennen; vom Aufstieg des Fahrens auf zwei Rädern über den neuerlichen Bedeutungsverlust bis hin zum Funktionswandel in der jüngeren Zeit.
Das Fahrrad ist so genial wie in der Form optimal. Es zu fahren, ist energieeffizienter als jede andere Fortbewegungsmethode. Das Fahrrad ist die Antwort auf eine Vielzahl von Problemen der Vergangenheit und Zukunft.
Immer wieder wird den Lesern beim Betrachten und Lesen des Bandes bewusst, welch visionärer Pioniergeist Karl Freiherr von Drais durchfuhr, als er sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts wagte, die physikalischen Gegebenheiten anzutasten, um so ohne Naturvorbild - wie es beispielsweise die Luftfahrtpioniere hatten - den Vorgänger unseres heutigen Fahrrads zu entwickeln, der verblüffend jenen Laufrädern ähnelt, mit denen bereits Dreijährige durch die Wohnsiedlungen flitzen. Verblüffend ist auch, dass die Entwicklung des Fahrrads in dem Band zudem als wichtiges Innovationsobjekt angepriesen wird, mit dem zum Beispiel in der Vorzeit des Automobils erstmals luftgefüllte Gummireifen erprobt wurden beziehungsweise in jüngerer Zeit mit den E-Bikes die Elektromobilität.
Neben der sozialgeschichtlichen Bedeutung des Fahrrads sowie dessen Wandel führt der Band seine Leser begleitend auch an zahlreiche technische Feinheiten, welche die Geschichte des Zweirads beeinflussten, heran. So entsteht ein unterhaltsamer Band, der obendrein ansprechend gestaltet präsentiert - mit zahlreichen zeitgenössischen Dokumenten, Abbildungen und vor allem historischen Fahrradtypen samt Werbeplakaten.
Weitere Informationen sowie ein Blick ins Buch finden sich auf der Webseite des Verlags .
Matthias plaudert
Mir persönlich ist der Band in einzelnen Teilen etwas zu technisch angelegt, wenn beispielsweise die verschiedenen Grundtypen des Fahrrads beschrieben werden oder im Ausstellungsteil Fahrrad um Fahrrad abgebildet wird, deren Unterschiede sich technisch versierteren Lesern eher erschließen werden. Diese werden zudem auch mehr Freude an dem von physikalischen Formeln durchsetzten Essay "Physik des Fahhradfahrens" haben. So gesehen ist die vergebene Zahl an Sternen durchaus von einer persönlichen Vorliebe bestimmt, die nichts an dem grundsätzlich ansprechenden und unterhaltsamen Ausstellungsband ändert.