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Es gibt eine Menge Theorien zur Geschichte des Menschen – jener, die nicht durch Schriften aus der jeweiligen Epoche belegt wird, die sich davor abgespielt hat, seit der Zeit, als sich die Gattung Homo sich von den Vorfahren der heutigen Menschenaffen abspaltete.
Neue Erkenntnisse bieten die mittlerweile möglichen DNA-Analysen, die archäologische Befunde belegen oder infrage stellen. Beides zusammen erschließt eine neue Sichtweise auf die Herkunft der Menschen, die heute in Europa leben, und ihre Vorfahren.
Karin Bojs, langjährige Wissenschaftsredakteurin, ist den aktuellen Erkenntnissen nachgegangen und erzählt in ihrem Buch von ihren Vorfahren – sie hat selbst einen DNA-Test vornehmen lassen – und den großen Völkerwanderungen, die Europas Besiedlung seit Jahrzehntausenden prägen. Der Leser begegnet eiszeitlichen, modernen Menschen und ihren Vettern, den Neandertalern, steinzeitlichen Jägern sowie den ersten Bauern, kühnen Seefahrern und anderen frühen Europäern. Bis ins Mittelalter hinein verfolgt Bojs die Bewegungen von Volksgruppen und die Motive, die sie dazu bewogen, Vertrautes zu verlassen und in neue Regionen aufzubrechen.
Unsere Vorfahren stammen aus Afrika und sind seit gut 50.000 Jahren in Europa nachzuweisen. Sie vermischten sich ein Stück weit mit den Neandertalern, die zuerst auf unserem Kontinent eingetroffen waren und von den modernen Menschen verdrängt oder aktiv ausgerottet wurden.
Sowohl die Archäologie als auch, in neueren Zeiten, DNA-Untersuchungen an Zeitgenossen wie an Skeletten aufgefundener steinzeitlicher Menschen können zur Aufklärung der Wanderungsbewegungen der Vorzeit beitragen und dazu, unsere Herkunft zu ergründen.
Karin Bojs hat führende Wissenschaftler aus ganz Europa besucht und eigene Recherchen angestellt. Sie entwirft in ihrem Buch ein gewaltiges Panorama der letzten fünfeinhalb Jahrzehntausende europäischer Menschen, voller Bewegung, immer neuer Herausforderungen und Antworten darauf. Die Antworten kamen häufig von außen, und das Buch zeigt indirekt auf, dass Globalisierung kein modernes Phänomen ist und in der Vergangenheit definitiv mehr Vor- als Nachteile bot.
Als besonders faszinierend erweisen sich die Spuren, die die DNA hinterlassen hat, die Erbsubstanz in steinzeitlichen Knochen und ebenso in heutigen oder vor wenigen Jahrhunderten verstorbenen Menschen. Wie Karin Bojs anschaulich aufzeigt, lässt sich aus diesen Analysen mehr ableiten als nur die Verwandtschaft zwischen modernen Menschen untereinander und mit ihren steinzeitlichen Vorfahren. Aus ihnen gehen Ernährungsgewohnheiten, tendenziell das Aussehen, manche Krankheiten und andere Eigenschaften hervor. Diese Erkenntnisse ergänzen Funde wie Gräber, Bauten, Boote und Gebrauchsgegenstände aller Art.
Aus all den Einzelheiten setzt Karin Bojs ein detailliertes Bild zusammen. Es umfasst sowohl die globalen Entwicklungen als auch ihre eigene, persönliche Familiengeschichte, deren Entschlüsselung nicht minder spannend ist.
Ein paar Abbildungen hätten dem Buch nicht geschadet, insbesondere, wenn es um bekannte Funde wie Ötzi geht. Andererseits lassen sich diese problemlos selbst im Internet finden. Und Bojs' Erzählstil macht Vor- und Frühgeschichte und nachfolgende Epochen bis zur Wikingerzeit lebendig und begreifbar. Der Leser erhält den Mut, sich selbst weitergehend zu informieren und sich zu öffnen für neue Denkweisen und Methoden, nicht zuletzt anhand der im Buch geschilderten Streitigkeiten unter den Wissenschaftlern. Vor allem aber bleibt die Erkenntnis, dass wir Europäer jenseits aller Ethnien und Nationen ein bunter Mix verschiedener Völkerschaften sind, die, ausgehend von Afrika, aus unterschiedlichen Weltgegenden stammten, einander in Europa begegneten, neue Ideen und Technologien exportierten, sich untereinander wohl auch befehdeten und letztlich zueinanderfanden.
Absolut empfehlenswert!
Eine Leseprobe gibt es auf der Verlagsseite.