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Ein Mann wandert durch seine Heimatstadt - im Großen und Ganzen ziellos. Er hat seine Wohnung einem Freund aus Kindertagen überlassen, der sie benötigte, um sich mit einer Geliebten zu treffen. Zwar war der Kontakt zwischen ihnen mittlerweile halbwegs eingeschlafen, doch wer würde einem Freund nicht helfen?
Viele Stunden bleiben nun. Stunden, in denen es zu den unterschiedlichsten Begegnungen kommt mit Menschen, die der Ich-Erzähler kennt oder kennenlernt, flüchtig oder etwas intensiver. Und zu Begegnungen mit Orten. Diese beschwören Erinnerungen herauf an längst und unlängst vergangene Zeiten, an weitere Menschen und zahlreiche Ereignisse, die sich unter einer dünnen Patina des Vergessens verborgen hielten. Bis jetzt. Die mehr oder weniger sanften Kratzer bringen persönliche Erfolge, aber auch das Scheitern zum Vorschein, immer vor dem Hintergrund der großen Geschichte: die Sowjetunion, die chaotischen Jahre nach Erlangung der Unabhängigkeit, der Ossetien-Krieg und alle anderen Wirren einer sich entwickelnden jungen Nation.
Auf Archil Kikodze stößt der Bücherfreund nicht unbedingt zwingend. Es könnte wie in diesem konkreten Fall so laufen, sofern die Frankfurter Buchmesse mit Gastland Georgien ihre Schatten voraus- oder zurückwirft:
Mittagspause, Spaziergang im Ort. Eine Buchhandlung auf dem Weg, sie wird spontan geentert. "Ich werde zur Buchmesse gehen, haben Sie georgische Literatur? Außer Nino Haratischwili, deren 'Achtes Leben' habe ich gerade gelesen, gut, aber ich möchte 'Die Katze und der General' erst mal zurückstellen." – "Ich schaue mal." Rückkehr der Buchhändlerin mit fünf Büchern, ein Kochbuch wird gleich aussortiert, jedes andere angelesen. "Ich nehme alle vier." Und der Klappentext des "Südelefanten" gibt zusammen mit dem eigenwilligen Titel den Ausschlag, dieses Buch kommt zuerst dran.
Einen Tag lang durch die eigene Heimatstadt schlendern, in diesem Fall Tiflis/Tbilissi, ohne konkretes Ziel, das passiert wohl kaum jemandem. Archil Kikodzes Ich-Erzähler tut jedoch genau das, schließlich konnte er seinem alten Freund dessen Bitte nicht abschlagen, ihm seine Wohnung für ein außereheliches Stelldichein zu überlassen. Der Wohnungsinhaber spaziert also umher und verliert sich in seinen Gedanken – die wenig mit den aktuellen Aktivitäten seines Freundes zu tun haben -, befeuert von ihm begegnenden Menschen und den Gebäuden und Vierteln, an denen er vorüberkommt.
Mit der Zeit ergibt sich aus den einzelnen Schnipseln und Fetzen ein gegenständliches Bild eines schwierigen, vielleicht, vielleicht auch nicht erfüllten Lebens und der damit eng assoziierten anderen Leben mit der jeweiligen Prägung durch den jeweiligen politisch-historischen Status quo. Am Ende wird der Ich-Erzähler mit konkreten Problemen der Jetztzeit konfrontiert. Und der Tag auf der Straße erhält seinen Sinn.
Archil Kikodzes "Südelefant" ist kein klassisch spannender, sprudelnder, mitreißender Roman. Der Autor nimmt den Leser mit auf eine scheinbar entspannte Reise durch begrenzte Zeit, begrenzten Raum, und gerade dadurch offenbart sich eine verblüffende Komplexität und Tiefe, die sich nach und nach entfaltet. Kikodze, ein Fotograf, hat einen geschulten Blick für Feinheiten und Details und weiß diese zu vermitteln. Es fällt schwer, dieses im Grunde, wie erwähnt, nicht im eigentlichen Sinne spannende Buch vor dem Ende zur Seite zu legen, denn der Autor zieht den Leser tief in seine Geschichte hinein, in gleichem Maße, wie er seinen Protagonisten in zunehmend komplizierte persönliche Verhältnisse gleiten lässt.
Ein starker Roman - hoffentlich nicht der letzte dieses Schriftstellers!
Eine Leseprobe gibt es auf der Verlagsseite.