Dass sein Roman "Redwall", den der englische Autor Brian Jacques 1986 ursprünglich für die Schüler einer Blindenschule geschrieben hatte, derartigen Erfolg haben, sogar den Auftakt zu einer großangelegten Fantasy-Reihe darstellen würde, hätte sich der Schriftsteller sicherlich nicht träumen lassen. Während die Geschichte in Deutschland zunächst in drei Bänden veröffentlicht wurde, um sie Kindern zugänglicher zu machen ("Redwall - Die Mauer", "Redwall - Die Suche", "Redwall - Der Krieger"), liegt mit "Der Sturm auf die Abtei" eine Ausgabe vor, die die komplette Erzählung beinhaltet.

Seit jeher ist die Abtei von Redwall für seine uneingeschränkte Hilfsbereitschaft und Güte bekannt. Die frommen Mönche und Bewohner der Abtei haben es sich zur Aufgabe gemacht, Gewalt von vornherein abzulehnen, jedem anderen hilfsbedürftigen Tier zur Seite zu stehen und zunächst auf den guten Charakter eines jeden Tieres zu vertrauen. Doch eines Tages rast eine Horde räudiger Ratten durch die Gegend nahe der Abtei und hinterlässt dabei eine Spur des Grauens. An der Spitze dieser Horde steht Cluny, eine narbengezeichnete, grausame Ratte, die mit ihrem peitschenden, mit einem Giftstachel besetzten Schwanz nur allzu gerne Schläge und Hiebe austeilt und sich daher ihren Spitznamen erworben hat: die Geißel. Als Cluny und sein Trupp schließlich auf die Abtei stoßen, gilt für den Rattenanführer nur noch eines: Redwall im Sturm zu erobern und sich seine Bewohner Untertan zu machen. Für die friedfertigen Abteibewohner beginnt eine harte Zeit der Belagerung, doch schließlich müssen auch sie sich überwinden und zu den Waffen greifen. Doch ohne Unterstützung von Martin dem Krieger, der einst in der Abtei gelebt hat, sind die Bewohner Redwalls dem Feind über kurz oder lang ungeschützt ausgeliefert - doch da begibt sich der junge Mäuserich Matthias auf die Suche nach dem Vermächtnis Martins ...

Mit Fortschreiten der Lektüre von "Der Sturm auf die Abtei" entwickelt sich auch die Geschichte selbst immer weiter. Was zunächst harmlos und als reine Kindergeschichte beginnt, wird schon bald vielschichtiger, lässt einen tieferen Sinn erkennen, greift sogar auf gewaltvolle Szenen zurück, um die Atmosphäre dichter, wirklicher zu gestalten. So zeigt sich Brian Jacques Erstlingsroman spannend, aber auch sehr abwechslungsreich, denn die Ereignisse der vorliegenden Erzählung folgen Schlag auf Schlag, ein kurzes Kapitel löst das nächste ab. Die Handlung ist, obwohl mehrere Handlungsstränge parallel erzählt werden, äußerst einfach gestrickt und stets mit Leichtigkeit nachvollziehbar. Die kurzen Abschnitte, die meist an spannenden Stellen enden, lassen den Leser neugierig werden und ziehen gekonnt einen Spannungsbogen über die gesamte Handlung. Dadurch präsentiert sich "Der Sturm auf die Abtei" als kurzweiliges, abwechslungsreiches Abenteuer für Jugendliche, das rasch und unkompliziert gelesen werden kann und das wohl auch aus diesem Grunde einer der bekanntesten und beliebtesten Romane der Tier-Fantasy ist. Störend allerdings ist der in der Übersetzung bayerische Dialekt der Maulwürfe, der das Lesen dieser Passagen sehr anstrengend macht; jedoch sind die Maulwürfe lediglich kleine Nebencharaktere, die bis auf einige kurze Situationen im Buch nicht auftreten - oder zumindest während dieser Auftritte kaum reden.
Ein weiterer, ansatzweise kritisierbarer Punkt fällt dem Leser ebenfalls sehr schnell auf, auch wenn dieser während der Lektüre der Geschichte kaum negativ auffällt: Brian Jacques bedient sich einer klaren Gliederung in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse. Mäuse sind gut, Ratten sind böse, Eichhörnchen sind gut, Wiesel sind böse, Maulwürfe sind gut, Hermeline sind böse. Kennt man die Rasse des Tieres, kennt man seine Gesinnung. Bis auf die Füchse - von denen man nie weiß, welches doppelte Spiel sie nun spielen - und die Spatzen - von denen sich zwei der guten Seite zuwenden - lässt sich dieses Schema auf alle Charaktere anwenden und sorgt damit dafür, dass ein kleiner Teil des Spannungspotenzials, das "Der Sturm auf die Abtei" hat, verspielt wird.

Fazit:
"Der Sturm auf die Abtei" ist ein kurzweiliges, unterhaltsames Abenteuer, das für Fans der Tier-Fantasy sicherlich unumgänglich ist. Obwohl der Geschichte durch eine klare Einteilung in Gut und Böse durchmischte Figuren verwehrt werden und keine überraschenden Sinneswandlungen seitens der Charaktere zu erwarten sind, ist Brian Jacques ein lobenswertes Werk gelungen.