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Frankreich, achtzehntes Jahrhundert. Schon früh widerfährt der jungen Malvina Raynal Fürchterliches: Hilflos muss die zu dem Zeitpunkt Neunjährige mit ansehen, wie ihre Mutter und ihr Vater am Strick baumeln - erbarmungslose Strafe für ihr monströses Leben, denn während Malvinas Mutter Gäste der eigenen Herberge mit Schlafmitteln betäubte, schlachtete ihr Vater die Opfer gnadenlos ab. Noch während der Hinrichtung wird das gotteslästerliche Paar "Kannibalen" geschimpft. Malvina muss fliehen, denn als Kind solcher Bestien ist sie nicht mehr sicher.
Unterschlupf findet sie mit der nicht ganz uneigennützigen Hilfe des fahrenden Händlers Rougefort in einem Kloster. Das seltsame, distanzierte Mädchen passt sich nur wenig an und schafft es trotzdem, das Herz der Köchin Hubertine zu gewinnen.
So vergehen die Jahre. Malvina, die sich in jeder Lebenslage auf die Kraft ihres Geschmackssinnes verlässt, ob sie als Hilfe in der Küche damit die delikatesten Speisen zaubert oder sie von dem Geschmack eines Menschen auf dessen Charakter schließt, geht nach Paris, als eine der Nonnen nach einer Krankheit stirbt und Malvina nicht ganz unschuldig an deren Tod ist. Da sie niemanden in dieser riesigen Stadt kennt, orientiert sie sich an einem Namen, den sie in einer Art Tagebuch ihrer Mutter entdeckt hat: Graf Jean-Baptiste Dandora de Ghalia. Wie sich herausstellt, handelt es sich dabei um einen der berühmtesten Apotheker des Landes. Malvina bittet ihn um eine Ausbildung, und tatsächlich nimmt der kluge Geschäftsmann die wissbegierige junge Frau bei sich auf. Es dauert jedoch eine Weile, bis Malvina das Vertrauen ihres Meisters gewinnt - und bis dieser sie in seine dunkelsten Experimente einweiht. Malvina jedoch lässt sich davon nicht abschrecken. Mit Hilfe ihres Geschmacks und ihres unermüdlichen Eifers gelingt es Malvina, das Ansehen und das Vermögen des Grafen noch zu vervielfachen ... bezahlt aber den Preis, das dunkle Geheimnis ihres Meisters mit zu tragen.
"So sinnlich wie Süskind" wird Laurence Haloches Roman auf der Buchrückseite angepriesen. Ein gewagter Vergleich, zählt Süskinds "Das Parfum", zu dem sich so manche Parallele in Haloches Geschichte um die eigenartige Malvina findet, doch zu den sinnlichsten und beeindruckendsten Werken der Literatur.
Mit der Protagonistin jedenfalls ist Haloche eine Kreatur gelungen, so wenig nachvollziehbar und seltsam wie Jean-Baptiste Grenouille. Allerdings versäumt sie es, der jungen Frau einen einheitlichen, konsequenten Charakter zu verleihen. Stolz und hinterhältig, geradlinig und launisch präsentiert sich Malvina, und so wird es dem Leser schwer gemacht, irgendeine Beziehung zu der Hauptfigur aufzubauen. Auch die übrigen Figuren bleiben an der Oberfläche, weder ihr Handeln noch ihr Denken eröffnen sich dem Leser.
Nicht zuletzt liegen diese Tatsachen daran, dass Haloche auf den 302 Seiten ihres Romans im Grunde keinerlei konkrete Aussagen trifft. Sie deutet an und baut Erwartungen auf, doch letztlich erfüllt sie diese nicht. Immer wieder lässt sie ihren Leser im Unklaren zurück; eine beispielhafte Szene ist, als Malvina in der edlen Gesellschaft in Paris Erfolge mit ihrem zubereiteten Essen feiert, aber ob diese feinen Leute wissen, was für Widerlichkeiten sie verspeisen, bleibt unklar, obwohl Haloche es ihrem Leser anvertraut und suggeriert, dass es bekannt sei. Dabei sind es oftmals diese nur flüchtig angesprochenen Details, die immens wichtig für das Verständnis und die Nachvollziehbarkeit der Charaktere sind. Diese Undeutlichkeiten hinterlassen einen schalen Beigeschmack und vergrößern die Distanz zwischen Roman und Leser.
Und wo, fragt man sich, bleibt die Sinnlichkeit, die einen Roman wie "Das Parfum" zu einem modernen Klassiker gemacht hat? Haloche ergeht sich nicht gerade in seitenlangen Beschreibungen, um die Fantasie anzuregen und die Geschmäcker, die Malvina entdeckt, auf der metaphorischen Zunge zergehen zu lassen. Viel zu bieder und gewöhnlich präsentieren sich die Abschnitte, die von der Sinnlichkeit leben müssten; bei so wenig Innovation in dem interessanten Thema lässt einen die sonstige Geschichte um Malvina kalt.
"Der Mund" bietet anspruchslose, seichte Unterhaltung, die sich hin und wieder gern in ein makabres Gewand hüllt. Steht einem der Sinn nach Sinnlichkeit, sollte man zu wahren, künstlerisch wertvollen Werken greifen. Geschmackliche Leidenschaft findet man in Haloches Debütroman leider nur zu selten und zu oberflächlich.