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 Einstrich-Keinstrich

NVA-Tagebuch


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


"Geschichten aus der Felddienst" lautet der ursprüngliche Titel, des jetzt als "Einstrich-Keinstrich" erschienen Buches. Der Autor schrieb akribisch - und unter größtmöglicher Geheimhaltung - seinen Alltag während seiner unfreiwilligen Dienstzeit bei der NVA, der Nationalen Volksarmee der DDR, nieder.

7. April 1982: Der Zivilist W. wird von vier bewaffneten Männern in Karl-Marx-Stadt, welche nach 37 Jahren jetzt wieder Chemnitz heißt, verhaftet. Wie sich herausstellen sollte, war dies der erst Kontakt mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Die Anschuldigungen "staatsfeindliche Hetze", "öffentliche Herabwürdigung", "geplante Republikflucht" oder auch "ungesetzlicher Grenzübertritt" lassen sich nicht beweisen. Vorsorglich wird der junge W. "verwarnt, belehrt und vom visafreien Reiseverkehr ausgeschlossen".
Dann, wenige Tage später, am 17. April 1982, liegt der Einberufungsbescheid im Briefkasten. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Es wird kein Strafverfahren eröffnet.
Anfang Mai des selben Jahres findet sich der junge W. im Pionierbataillon 7 in Pirna bei Dresden wieder. Es beginnen anderthalb Jahre Isolation beim Militär. 552 Tage Zwangsgemeinschaft in Uniform ...

Der Autor schreibt in einer Mischung aus Tagebucheinträgen, Kalenderblattnotizen (zum Beispiel: 25.10.1982 - Tag der Rumänischen Streitkräfte) und Stasi-Aufzeichnungen. Es ergibt sich eine Lesart, die ihres Gleichen sucht. Erschreckend wie minimalistisch genau die einen über den anderen Protokoll führen. Es gelingt der Blick von unten auf ein System, in dem sich alle irgendwie eingerichtet haben. Gleichwohl wir heute aus der sicheren Distanz von der Abteilung 2000, der Schnittstelle zwischen MfS und Militär, als auch den unzähligen offiziellen und inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit wissen, kommt es doch einem Faustschlag ins Gesicht gleich, wenn man liest mit welchem Selbstverständnis die Persönlichkeitsrechte mit Füßen getreten wurden.

Was bleibt ist die Dokumentationen des Alltags vom jungen W.
Zwei Sommer und einen Winter verbringt er im System NVA. Er dokumentiert augenscheinlich Ungeheuerliches genauso, wie er auch die zwischenmenschlichen Aspekte stets beleuchtet - egal ob positiver oder negativer Natur. Regelmäßige Übungen des Pionierbataillons, der lange Weg bis zum Urlaub, das umständliche Bahn fahren und das gute Gefühl wieder zuhause zu sein, werden beschrieben. Zwischen Normalität und dem alltäglichen Wahnsinn, nutzt auch der Autor seine Zeit und schreibt auf was ihn bewegt. Schreibt von Drangsalierungen durch Vorgesetzte, aber auch über das vielfach geduldete EK-System, von Sprutzen und Dachsen und dem obligatorischen Maßbandanschnitt. (Beim EK-System handelte es sich um die Hierarchie der Wehrpflichtigen, welche teilweise sehr extreme Auswüchse annahm. Bezeichnungen wie Dachs, Sprutz, Rotarsch, Mittelschwein oder EK - Entlassungskandidat - beziehen sich auf die Restdienstzeit. Der Maßbandanschnitt symbolisierte den Anfang der letzten 250 Tage der Wehrdienstzeit.)

So handelt es sich beim vorliegenden Buch weder um eine Anklage noch um eine generelle Verurteilung und schon gar nicht um eine "war-doch-alles-gar-nicht-so-schlimm" - Erzählung. In einer einzigartigen Form werden hier Strukturen aufgedeckt, an deren Existenz man in ihren Auswüchsen vielleicht ohne Weiteres nicht glauben möchte. Ehemalige Geliebte, Lehrer, ja sogar Freunde haben aus unterschiedlichen Beweggründen mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammen gearbeitet. Dieser Umstand wird durch Auszüge von Protokollen, welche abermals in ihrer Detailliertheit aufrütteln, belegt.

Fazit:
Ein Stück Zeitgeschichte, welches dem interessierten Leser tiefe Einblicke in das damalige Leben und die Gefühlswelt des Autoren gewährt. Ausgesprochen lesenswert!

Ralf Strohbach



Taschenbuch | Erschienen: 01. Februar 2006 | ISBN: 3462036742 | Preis: 9,95 Euro | 324 Seiten | Sprache: Deutsch

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