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Im Jahre 1699 bricht Lemuel Gulliver als Schiffsarzt zu einer Reise in die Südsee auf. Doch mitten auf dem pazifischen Ozean geraten sie in einen schweren Sturm und das Schiff sinkt so schnell, dass alle Seeleute ertrinken. Nur Gulliver erwacht an den Gestaden eines fremden Eilandes. Zu seiner Überraschung und zu seinem maßlosen Entsetzen liegt er gefesselt am Strand und kann nicht den kleinsten Finger bewegen. Doch sein Erstaunen kennt keine Grenzen, als einige Menschen, kaum so groß wie sein Zeigefinger lang ist, auf ihn klettern und ihn begutachten. Gulliver gelingt es zwar unter Aufbietung seiner ihm verbliebenen Kräfte, seinen linken Arm zu befreien, und er schlägt die kleinen Menschen allein mit seiner für sie orkanartig lauten Stimme in die Flucht. Doch kommen sie schnell zu Tausenden wieder zurück und beginnen ihn mit Pfeilen derart zu traktieren, dass Gulliver jeden Widerstand aufgibt und durch Gesten zu erkennen gibt, dass er sich friedlich verhalten will.
In den nächsten Stunden beginnen ihn die kleinen Menschen mit für ihre Verhältnisse Unmengen an Nahrung und zahlreichen Fässern Wein zu verköstigen. Alsbald fällt Gulliver in einen tiefen Schlaf. Wie er später erfährt, haben die Einwohner Liliputs - so nennen sie ihr Reich - ihm ein Betäubungsmittel in den Wein gerührt. Als er wieder erwacht, haben ihn die Eingeborenen in ein leer stehendes, für sie riesiges Gebäude geschafft und sogar der König ist zugegen, um sich den Menschberg anzusehen.
In den nächsten Monaten gelingt es Gulliver, die Sprache der Bewohner Liliputs zu erlernen und sogar das Vertrauen des Königs zu erlangen. Doch eines Tages wird von ihm verlangt, dass er die Bewohner einer Nachbarinsel angreift und besiegt. Dieses 800 Meter entfernte feindliche Königreich ist nach Meinung des Königs und seiner Minister der Häresie schuldig, gehören sie doch zu den Unmenschen, die ein Ei an der runden Seite zu köpfen wagen, der König und alle seine Untertanen auf Liliput hingegen sind die wahren Gläubigen, denn sie köpfen ein Ei natürlich an der spitzen Seite!
Im Jahre 1726 erschien mit "Gullivers Reisen" der erste Band der am Ende vierbändigen fiktiven Reisegeschichte von Jonathan Swift. Es wurde eines der meistgelesenen Bücher der Weltliteratur. Unzählige Male verlegt, wurde vor allem die Adaptation von Erich Kästner, der die ersten zwei Reisen Gullivers für Kinder und Jugendliche umschrieb, hierzulande bekannt.
Es folgten Verfilmungen, Hörspiele und Hörbücher in großer Zahl. Meist ist in diesen Versionen die Reise Gullivers nach Liliput, dem Land der Winzlinge, und nach Brobdingnag, der Insel der Riesen, thematisiert. Allen diesen meist stark gekürzten Ausgaben ist zu Eigen, dass sie den kritischen, satirischen Gehalt der Urfassung von Jonathan Swift mehr oder minder stark herausredigieren. Das Ergebnis ist meist ein reiner Reisebericht, der die markanten und fantastischen Besonderheiten der jeweiligen Kultur herausstellt. Sehr wenig oder gar nicht wird die Kritik Swifts an den herrschenden politischen und sozialen Verhältnissen des damaligen englischen Königreiches thematisiert.
Die vorliegende Fassung des Ueberreuter-Verlags ist die gekürzte Fassung der ersten zwei Reisen Gullivers. Entgegen starker Kürzungen in den meisten Hörbüchern bemüht sich diese Hörbuch-Variante um großen Detailreichtum. Die Kürzungen betreffen zwar einige der kritischsten Formulierungen von Jonathan Swift, machen aber an vielen Stellen deutlich, dass die Utopie einer wahren Demokratie und Monarchie, wie sie in Liliput zu herrschen scheint, nur vordergründig existiert. Es wird klar, dass sich Machtstreben und Intrigen, Gier nach fremdem Besitz und Hinterlist hinter einer Fassade der Wohlanständigkeit verstecken.
Leider fehlt dem von Bodo Primus sehr versiert und atmosphärisch treffsicher vorgetragenen Hörbuch ein wenig der Humor. Nur selten ist es lustig, streckenweise arg durch seinen Detailreichtum der Langeweile nahe. Dank Primus und seines lebendigen Vortrags scheint es aber zu jedem Zeitpunkt ein wahrer Tatsachenbericht zu sein und der Hörer bleibt fasziniert und durch die immer wieder überraschenden Wendungen der Geschichte auch angespannt.
Ein noch besserer Spannungsbogen erwartet den Hörer auf der zweiten CD, die weitestgehend der zweiten Reise von Gulliver gewidmet ist.
Fazit: Auch wenn zahlreiche Kürzungen den Originaltext von Jonathan Swift verfremden und ihn fast zu einer reinen Abenteuergeschichte machen, wird das Bemühen deutlich, die sozialen und politischen Hintergründe Liliputs und Brobdingnags herauszuarbeiten und als Allegorie auf das England des siebzehnten Jahrhunderts zu umreißen. Mit wenig Humor, aber gekonntem Spannungsaufbau - hier vor allem die zweite Reise betreffend - gefällt diese Ausgabe Hörern, die Anspruch und Unterhaltung im Gewand einer Abenteuergeschichte suchen. Die Stärke dieses Hörbuchs ist, neben dem Versuch zu kürzen und zu akzentuieren, eindeutig der Vortrag von Bodo Primus. Er verleiht diesem Reisebericht zu jedem Zeitpunkt den Charakter einer realen und glaubhaften Geschichte.
Besonders hervorzuheben ist auch das sehr gelungene Titelbild der CD-Hülle und der konkurrenzlos günstige Preis dieser Klassiker-Edition.