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Die zwölfjährige Lyra wächst geborgen in Jordan College in Oxford auf. Ihre Eltern kamen bei einem Unfall ums Leben, als Lyra noch jung war, und seitdem wird sie von den Lehrkräften und Angestellten des altehrwürdigen Colleges betreut und aufgezogen. Für das unbekümmerte Mädchen ist dieses Leben zwischen den ernsten Wissenschaftlern, staubigen Büchern und prächtigen Hallen der Universität nicht schlecht - den Campus sieht sie als riesigen Spielplatz an, und jeder Tag ist ein neues Abenteuer.
Eines Tages geschieht etwas, das Lyras Leben von Grund auf ändern soll: Ihr Onkel Asriel kommt nach Jordan College, um die Gelehrten um Geld für eine Forschungsexpedition in den hohen Norden zu bitten. Versteckt in einem Schrank des Rektorenzimmers belauscht Lyra den Vortrag vor den Dozenten. Auf den Dias, die ihr Onkel den Wissenschaftlern zeigt, erkennt Lyra eine seltsame Substanz, die von einem Kind auszugehen scheint und die die Wissenschaftler rätselhafterweise als "Staub" bezeichnen. Zu ihrem grenzenlosen Erstaunen erblickt Lyra auf einem der Dias etwas, das wie eine komplette Stadt am Himmel aussieht. In ihr wächst der Wunsch, in den Norden zu reisen und das Rätsel um den "Staub" und die Stadt am Himmel zu lösen.
Gleichzeitig geschieht Unheimliches in Oxford und darüber hinaus: Mehr und mehr Kinder, meist aus armen Familien, verschwinden spurlos. Die verängstigten Einwohner haben schnell einen Namen für die gesichtslosen, unheimlichen Entführer: Gobbler. Für Lyra und ihren besten Freund Roger sind die Gobbler zunächst eine willkommene Gelegenheit für weitere aufregende Spiele und Erkundungsgänge durch die versteckten Hallen von Jordan College - bis auch Roger spurlos verschwindet. Lyra ist außer sich vor Sorge, wird aber durch eine neue Entwicklung zunächst abgelenkt: Sie bekommt die Chance, Jordan College zu verlassen und vielleicht sogar an Expeditionen in den Norden teilzunehmen. Die Wissenschaftlerin Mrs. Coulter nimmt Lyra bei sich auf und stellt sie als Assistentin ein. Doch ist die kluge, hübsche und nach außen hin so gütige Mrs. Coulter wirklich das, was sie zu sein scheint? Hat sie etwas mit den kinderraubenden Gobblern zu tun? Lyra bringt zufällig in Erfahrung, dass ihr Onkel im eisigen Norden auf der Festung Svalbard festgehalten wird, bewacht von gewaltigen sprechenden Bären, den "Panserbjørnen". Diese riesenhaften Wesen sind nahezu unbesiegbar, und die Rettung ihres Onkels erscheint aussichtslos. Ein aufregendes Abenteuer beginnt, in dessen Verlauf Lyra in höchste Gefahr gerät. Auf ihrer Reise, die sie letztendlich wirklich in die Arktis führt, macht sie die Bekanntschaft von Hexen, dem fahrenden Volk der Gypter - und einem leibhaftigen Panserbjørn ...
"Der goldene Kompass" ist der erste Teil einer Fantasy-Trilogie mit dem Titel "His Dark Materials", die der britische Autor Philipp Pullman schrieb und die eine große Zahl an begeisterten Lesern gefunden hat. Band eins der Trilogie erschien unter dem Originaltitel "The Golden Compass", teilweise ist er jedoch auch unter dem Titel "Northern Lights" erhältlich. Pullman ist es mit diesen Romanen gelungen, eine aufregende Parallelwelt zu unserer Welt zu erschaffen, die durch zahlreiche liebevolle Details sehr glaubwürdig wirkt.
In Lyras Oxford herrschen geringfügig andere Gesetze der Physik und Chemie; Geographie, Religion, Historie und Politik haben sich anders entwickelt als in unserer Welt. Dennoch fügt sich bei Pullman alles so gut zusammen und besitzt einen so hohen Wiedererkennungswert, dass man sich als Leser mühelos in diese Parallelwelt einfindet.
Die wohl einschneidendste Idee in Pullmans Romanen ist die der "Dæmonen". Jeder Mensch besitzt im Roman von Geburt an einen solchen Dæmon. In Tiergestalt verkörpern sie die Seelen der Menschen und spiegeln deren Gefühle und Gedanken durch ihre Gestalt wider, besitzen dabei aber die Fähigkeit, eigenständig zu denken und zu sprechen. Mensch und Dæmon sind fest miteinander verbunden, und stirbt der Mensch, dann stirbt auch sein Dæmon - und umgekehrt. Diese wunderhübsche und phantastische Idee der "Seele in Tiergestalt", die Pullman vor allem in Lyras Dæmon Pantalaimon ausgeführt hat, muss man einfach selbst nachlesen, um sich von ihr bezaubern zu lassen. Viele bewegende, rührende und hochspannende Momente in "Der goldene Kompass" beruhen auf der Faszination der Dæmonen, die Pullman erschaffen hat.
Fazit: Ein wunderbares Buch voller Fantasie und Spannung in einer halb-fiktiven Welt, die durch intelligente Ideen besticht. Die mutige Heldin Lyra ist eine faszinierende Figur, die sowohl Kinder als auch fantasybegeisterte Erwachsene in ihren Bann schlagen wird. "Der goldene Kompass" vereint Fantasyelemente mit einer spannenden Abenteuergeschichte und geizt auch nicht mit dramatischen und traurigen Momenten. Der Roman thematisiert Treue und Verrat, Erwachsenwerden und Schicksal. Die nachfolgenden beiden Teile von Pullmans Trilogie ("Das magische Messer" und "Das Bernstein Teleskop") sind für den Leser unter Umständen erheblich gewöhnungsbedürftiger als "Der goldene Kompass", da der Autor dort erheblich mehr Bezüge zu Religion und Mystik nimmt und sich dabei - meiner Meinung nach - oft verzettelt. "Der goldene Kompass" kann aber als nahezu in sich abgeschlossene Geschichte gelesen werden. Da der Carlsen Verlag Pullmans bekannten Roman zum Preis von nur sechs Euro als Taschenbuch herausgebracht hat, kann man hier wirklich nichts falsch machen - ein Muss für Fantasy-Fans ab zwölf Jahren!