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 Der Fall Kepler

Mord im Namen der Wissenschaft

Autoren: Anne-Lee Gilder, Joshua Gilder
Übersetzer: Thorsten Schmidt
Verlag: List

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis


Im Jahr 1600 treffen in Prag, am Hof Kaiser Rudolfs II., zwei Forscherpersönlichkeiten zusammen, die nicht unterschiedlicher sein könnten.
Der ältere Tycho Brahe entstammt dem dänischen Hochadel. Entgegen der Etikette und den Wünschen seiner Familie hat er sich der Astronomie zugewandt und dort rasch Erfolge erzielt, sodass er bald als bedeutendster Astronom seiner Zeit angesehen wird. Nachdem er am dänischen Hof durch ein Ränkespiel in Ungnade gefallen ist, wird er Kaiserlicher Mathematikus beim deutschen Kaiser. Er hat ein neuartiges Modell des Kosmos entwickelt, frei von seinerzeit üblichem Flickwerk, das mühsam versucht, philosophische Traditionen und ihnen widersprechende Naturbeobachtungen unter einen Hut zu bringen: Brahe stützt sich auf empirisch belegbare Fakten. Vierzig Jahre lang hat er akribisch und mit von ihm entworfenen, erstaunlich präzisen Instrumenten eine ungeheure Datenmenge zu den Bahnen von Himmelskörpern zusammengetragen.
Diese Daten benötigt Johannes Kepler, zunächst ein kleines Licht von einem Astronomen, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, der nur aufgrund seiner überragenden Intelligenz die Möglichkeit zum Studium erhalten hat. Sein erstes, allzu sehr von mystischen Vorstellungen geprägtes Werk hat er Tycho Brahe vorgestellt, der es behutsam und zu Recht kritisierte. Doch der aufbrausende, empfindliche Kepler verträgt keine Kritik. Obwohl Brahe sich künftig viel für ihn verwendet und ihn zu seinem Assistenten macht, wird Kepler ihm gegenüber immer wieder ausfallend und grob beleidigend. Durch allerlei Intrigen versucht er, an Brahes Datensammlung zu kommen, die dieser noch nicht veröffentlichen möchte. Doch um die Marsbahn genau zu bestimmen und seine Bahn brechenden neuen Ideen formulieren zu können, kann Kepler darauf nicht verzichten.
Kepler stiehlt die Aufzeichnungen den Erben unmittelbar nach Brahes überraschendem Tod. Und Jahrhunderte später werden in einer Haarprobe von Brahe riesige Mengen des hochgiftigen Elements Quecksilber gefunden. Die Verbindung aus Analyse und historischem Kontext lässt einen erschreckenden kriminalistischen Schluss zu.

Spannend erzählt das Autorenpaar die Geschichte der konfliktreichen Beziehung zwischen zweien der größten Geister der frühen Neuzeit: dem geduldigen und erstaunlich loyalen Tycho Brahe und Johannes Kepler, der hier - anhand zahlreicher Quellen, darunter eigenen Aufzeichnungen - als skrupelloser, von persönlichem Ehrgeiz zerfressener und launischer Intrigant dargestellt wird und letztlich unter einen wohl begründeten Mordverdacht gerät. Denn auch Tycho Brahes qualvolles, tagelanges Sterben ist durch zeitgenössische Quellen üppig belegt; die Schilderungen weisen auf eine zweimalige Quecksilbervergiftung mit hohen Dosen hin. Moderne analytische Methoden, die im Buch gut verständlich und korrekt erklärt werden, belegen diesen Sachverhalt.
Die Autoren rekonstruieren den Tathergang und untersuchen die möglichen Beweggründe der Personen, die als Mörder infrage kommen, sowie deren Fähigkeiten und Gelegenheiten, den Mord überhaupt durchzuführen. Letztlich bleibt nur eine der bekannten Personen aus Tycho Brahes Umfeld übrig.
Die Auflösung überrascht natürlich nicht, da sie ja gründlich vorbereitet wurde. Manchmal fühlt man sich ein wenig gedrängt, Kepler als ein gewissenloses, undankbares, von Missgunst und Erfolgszwang umgetriebenes Scheusal zu betrachten, doch tatsächlich lassen die dem Buch zugrunde liegenden, seriösen Quellen den Astronomen so erscheinen, der zu den großen Wegbereitern der modernen Physik wurde, bevor Newton auftrat. Im Rahmen dieser Polarisierung erweist sich Brahe als "der Gute", der Kepler seine Daten nicht aus eigenem Ehrgeiz und "Futterneid" vorenthält, sondern weil er die solide Grundlage seiner Forschung vorher komplettieren und prüfen will. Die Autoren würdigen die Arbeit beider Forscher, selbstverständlich auch und ganz besonders Kepler.
Ganz nebenbei erhält der Leser einen guten Einblick in die politische Lage just vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges und die höchst interessanten Konstellationen und Konflikte an einigen bedeutenden Höfen jener Zeit.
Einige Skizzen und Bilder erläutern ergänzend die wissenschaftlichen Sachverhalte; weitere Bilder zeigen die Protagonisten und Teile ihres Umfelds.
Ein packend und seriös dargelegter historischer Kriminalfall also, eingebunden in den Kontext einer äußerst brisanten europäischen Epoche, der möglicherweise zum Paten der Entwicklung der neuzeitlichen Physik und Astronomie wurde.

Regina Károlyi



Taschenbuch | Erschienen: 1. Juni 2006 | ISBN: 3548606385 | Originaltitel: Heavenly Intrigue | Preis: 8,95 Euro | 319 Seiten | Sprache: Deutsch

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