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 Annika und der Stern von Kazan

Autoren: Eva Ibbotson
Übersetzer: Sabine Ludwig
Verlag: Dressler Verlag

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Die Geschichte, die Ibbotson erzählt, spielt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Wien.
Als Ellie und Sigrid, zwei Angestellte im Hause dreier exzentrischer Wiener Professoren, eine Bergwanderung machen, finden sie in einer kleinen Kirche ein Findelkind. Sie nehmen es mit, doch durch eine Typhus-Epidemie in Wien will kein Waisenhaus das Kind aufnehmen. Daraufhin beschließen Ellie und Sigrid, das Kind zu behalten. Sie nennen es Annika. Zunächst sind die drei Professoren zu Annika noch sehr distanziert, dann aber schließen sie sie doch ins Herz. Obwohl Annika viel arbeiten muss, wächst sie fröhlich heran, bleibt hilfsbereit und bescheiden. Sie hat zwei gute Freunde, Stefan, der später mal Ingenieur werden will, und Pauline, die Zeitungsausschnitte von mutigen Menschen sammelt, weil sie selbst so ängstlich ist. Insgeheim träumt Annika aber davon, dass sie eines Tages ihre Mutter, ihre wirkliche Mutter, kennen lernen wird und dass diese Mutter eine elegante und liebenswürdige Frau ist.
Doch zunächst lernt sie die Großtante von Loremarie Eckhardt kennen. Loremarie ist ein reiches Mädchen aus der Nachbarschaft. Sie blickt auf Annika herab und nutzt jede Gelegenheit, ihr dies deutlich zu machen. Als aber die Großtante bei den Eckhardts einzieht, und Loremarie dieser jeden Tag aus Büchern vorlesen soll, überredet sie Annika, es an ihrer Stelle zu tun. Loremarie gruselt sich vor der alten Frau, Annika findet sie jedoch sehr liebenswürdig und die beiden verstehen sich hervorragend. Tatsächlich vermacht die Großtante, kurz bevor sie stirbt, Annika all ihre Habseligkeiten, unter anderem die gläserne Kopie einer kostbaren Halskette, dem Stern von Kazan.
Bevor Annika von der Erbschaft erfährt, passiert das, wonach sie sich ihr ganzes Leben lang gesehnt hat: Ihre Mutter taucht auf. Die Mutter, eine Adelige aus dem Norden Deutschlands, nimmt Annika auf deren Stammsitz mit, ein verfallenes Schloss, auf dem sie mit Annikas Halbbruder Hermann lebt. Hermann entpuppt sich als arrogant und rotznäsig. Insgesamt fühlt Annika sich in ihrer Rolle als Tochter einer Adeligen nicht wohl, so verzweifelt sie auch versucht, ihre Mutter zu lieben. Sie bekommt Heimweh. Nur in Zed, dem Pferdejungen, findet Annika eine verwandte Seele.
Auf recht seltsame Weise kommt die Mutter plötzlich zu Geld, so dass Hermanns Wunschtraum, auf eine Kadettenanstalt gehen zu können, erfüllt werden kann. Der Stammsitz wird renoviert und bewohnbar gemacht. Und Annika, die sich nach ihrer alten Arbeit und einem Sinn für ihr junges Leben sehnt, fasst neue Hoffnung.
Dann jedoch passiert das Schreckliche: eines Tages findet Annika am Ufer eine alte Fotografie. Annika kennt diese Fotografie. Diese zeigt die Großtante von Loremarie Eckhardt. Wie aber kommt dieses Foto, das sie zuletzt in Wien gesehen hatte, in den Norden Deutschlands? Als Annika daraufhin ihre Mutter fragt, was das bedeutet, forscht die Mutter nach, findet heraus, dass Zed den Koffer, den die Großtante Annika vererbt hat, von der Post abgeholt und dessen Inhalt gestohlen hat. Zed flieht. Annika ist vollkommen verzweifelt. Sie weiß nicht mehr, wem sie trauen soll.
Kurz darauf schickt ihre Mutter sie auf eine Schule für adelige Töchter. Diese Schule entpuppt sich als ein grausames Gefängnis, in das scheinbar nur unliebsame Mädchen abgeschoben werden. Annika traut sich nicht gegen die unsinnigen Schulregeln und grausamen Erziehungsmethoden zu protestieren. Sie, die immer wusste, was sie wollte, gibt sich selbst auf.
Zur selben Zeit taucht Zed bei den Professoren in Wien auf. Und er weiß von einem unglaublichen Verbrechen zu berichten, das an Annika begangen wurde. Daraufhin fassen Ellie, Sigrid, die drei Wiener Professoren und Annikas Freunde Stefan und Pauline einen so abenteuerlichen wie mutigen Plan.

Eva Ibbotson, die durch mehrere fantastische Jugendbücher bekannt wurde, legt hier einen so märchenhaften wie realistischen Roman vor. Wie kein anderes ihrer Bücher ist er melancholisch und grausam. Gerade weil es märchenhaft ist, wirkt sein Realismus umso härter, gerade weil es auch ein sehr humorvolles Buch ist, sind die Grausamkeiten, die Annika erleiden muss, umso bitterer.
Annika, die mir sehr schnell ans Herz gewachsen ist, muss sich einer Welt stellen, die keinen Platz für Liebe, Mut, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit zu haben scheint. Mit großer erzählerischer Schlichtheit, aber einer sehr raffinierten Komposition, seziert die Autorin die Blindheiten und die Gier eines Adels, der sich nur noch hohl um die vergangene Größe, Geld und den militärischen Nationalismus dreht. Daran zerbricht Annika zunächst. Doch von Anfang an hat Ibbotson nicht nur einen sehr spannenden Kriminalfall angelegt, sondern auch all jenes, was Annika schließlich retten wird: die Liebe, die Freundschaft, eine Bescheidenheit, die nicht unterwürfig ist, sondern sich gerade trotzig gegen jene arrogante Hohlköpfigkeit auflehnt, die den Adel, das Militär, die Industriellen auszeichnet.
Die Sprache ist sehr einfach gehalten, die Erzählweise gelassen, und trotzdem wird ein komplexes Verbrechen aufgerollt, der Zustand einer zerfallenden Gesellschaft unter die Lupe genommen und die Seele eines jungen Mädchens, das sich in die dummen Konventionen nicht einfinden kann, glaubwürdig, erschütternd, nüchtern und trotzdem mit viel Liebe und Humor geschildert. An keiner Stelle verliert Ibbotson den Faden, trotz dieser Breite an Themen, an keiner Stelle findet man unnötige Schnörkel im Text.

"Annika und der Stern von Kazan" ist ein wundervolles Buch, das ich nicht aus der Hand legen konnte. Ich habe sehr gelacht, ich habe sehr mitgefiebert und mitgelitten, ich habe, nachdem ich die letzten Seiten gelesen hatte, lange über dieses Buch nachgedacht. Es mahnt zu einem klaren Blick gegenüber jeder Art von Eitelkeit und doch vermittelt es eine tiefe Liebe zur Welt. Nie aber liest man einen erhobenen, moralisierenden Zeigefinger mit. Kann man von einem Buch mehr verlangen?

Frederik Weitz



Hardcover | Erschienen: 01. Februar 2006 | ISBN: 3791510118 | Originaltitel: The Star of Kazan | Preis: 13,90 Euro | 382 Seiten | Sprache: deutsch

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