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Als Dr. Larenz seine zwölfjährige Tochter Josephine, genannt Josy, bei einem befreundeten Allergologen wegen ihrer mysteriösen Krankheitssymptome untersuchen lässt, verschwindet Josy spurlos aus dem Behandlungszimmer. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Die Eltern sind verzweifelt und ihre Ehe geht in den folgenden Monaten mehr und mehr in die Brüche, bis Larenz Frau schließlich ins Ausland zieht. Larenz, der vor dem Verschwinden seiner Tochter ein berühmter Psychiater war, wird mehr oder weniger berufsunfähig, gibt seine Praxis auf und beginnt zu trinken.
Vier Jahre nach dem rätselhaften Verschwinden seiner Tochter versucht Larenz in seinem Ferienhaus auf Parkum die Vergangenheit endgültig zu bewältigen. Dort trifft er auf eine seltsame Frau, Anna Spiegel, die vorgibt, eine an Schizophrenie leidende Jugendbuchautorin zu sein. Doch mit der Bekanntschaft mehren sich die mysteriösen Umstände in Larenz? Leben: sein Hund verschwindet und wird kurz darauf vom Bürgermeister tot in einer Mülltonne gefunden. Später sagt der Bürgermeister, er erinnere sich an keinen Hund. Die Stromversorgung der Ferienwohnung fällt aus, und während des Stromausfalls verschwindet Larenz? Laptop; ein Fax, auf dem eine Kinderzeichnung von Josy zu sehen ist, wird von seiner Wohnung in Berlin an einen Freund geschickt. All diese Umstände laufen immer mehr auf eine Frage hinaus: Was weiß Anna Spiegel über seine verschwundene Tochter?
Ein Sturm, der über Parkum aufzieht und die Insel tagelang fest im Griff hat, nötigt Larenz und Anna zu einem bizarren Zweikampf, in dem sich Lüge, Selbsttäuschung und Wahrheit, Krankheit und Gesundheit, Hoffnung und Verzweiflung ineinander vermischen. Larenz droht, an dieser Situation endgültig zu zerbrechen, zumal er erfährt, dass Anna Spiegel, die echte Anna Spiegel, ein halbes Jahr zuvor Selbstmord begangen hat und er sich mit einem Phantom zu unterhalten scheint.
Das perfide Spiel, in das sich Larenz mehr und mehr eingebunden sieht, wird nicht nur durch die so rätselhafte Anna verstärkt, sondern auch durch Larenz? langjährige Freunde und seine Ehefrau, die sich plötzlich allesamt offen widersprüchlich verhalten.
Der Roman hat mich sehr hin- und hergerissen. Nicht, weil er sonderlich dramatisch ist, sondern weil es Fitzek gelingt, gleichzeitig spannend und sehr hölzern zu schreiben. Spannend ist der Roman zwar nur bis zu einem gewissen Punkt. Man kann zweihundert Seiten vor dem Schluss das Ende ahnen. Jedoch schieben die vielen Wendungen, die danach folgen, dieses Ende immer wieder hinaus und bringen den Leser halb erfolgreich von seinen Vermutungen ab.
Handwerklich nutzt Fitzek dabei allzu oft mangelhaft durchdachte Techniken. Da werden Gespräche geführt, die die Informationen aufschieben und nochmals aufschieben und der Knaller, der am Ende losgelassen wird, wird gleichzeitig als Cliffhanger benutzt, so dass manche Szenen zwar eine gute Spannung aufbauen, aber die Dramatisierung durch dieses Allzuviel an Technik zu überwürzt wirkt.
Ähnlich roh nutzt Fitzek die Schilderung von Wahrnehmungsstörungen: irgendetwas beunruhigt den Protagonisten, aber er weiß nicht was. Da werden in Zimmern, die der Leser überhaupt nicht kennt, weil sie zuvor nicht gut beschrieben wurden, irgendwelche Verschiebungen, irgendwelche zusätzlichen oder fehlenden Gegenstände vermutet und man sitzt als Leser da und fragt sich: was darf ich mir denn an dieser Stelle genau vorstellen? Das Fehlen des Gegenstandes, die Beunruhigung des Protagonisten verkommt zur puren Behauptung. Mit einem Wort: oftmals sind die Szenen zu abstrakt. Spannung zu erzeugen ist eines der Anliegen eines Romans, und Fitzek zeigt, dass er die Techniken kennt, aber kluger Einsatz dieser Techniken und Sinnlichkeit gehören genauso zur Führung des Lesers dazu und hier scheitert Fitzek häufig. - Ein anderes Beispiel? Josy, die verschwundene Tochter, bleibt ein Name. Es gibt beim Protagonisten Larenz keine glücklichen Erinnerungen an sie, die dem Leser den Wunsch vermitteln, dieses Mädchen kennen zu lernen. Larenz hätte genauso gut seinen Schlüssel verlegen können.
Ein dritter Kritikpunkt ist das verwendete Wissen Fitzeks: die Durchmischung von Krankheitssymptomen, die Fitzek hier zur Konstruktion seines Thrillers gebraucht, und die zu exzessive Verfremdung von Krankheitsbildern wirken sehr störend. Dass Thriller nicht realistisch sind, ist mir schon klar, aber hier greift der Autor scheinbar ungebremst in die Trickkiste und vermischt recht wahllos schwere Persönlichkeitsstörungen mit psychotischen und neurophysiologischen Krankheitsbildern. Das wirkt zu sehr für den Leser konstruiert, um nicht als Manipulation aufzufallen, und hat mich teilweise sehr abgestoßen. Als Leser möchte ich einer Täuschung aufsitzen, die mich vier, fünf Stunden aus meiner Realität entführt, nicht dem Autor bei seiner halbherzigen Planung zuschauen.
So bleibt in der Zusammenfassung zu sagen, dass Fitzek sehr originell ist, aber zu offensichtlich konstruiert, die Führung des Lesers nur bedingt beherrscht, dadurch auch nur bedingt spannend ist, seine Sprache in Satzbau und Wortwahl ausgearbeitet und wesentlich enger verzahnt und sinnlicher werden müssten, um einen großen Thriller zu schreiben. Dieser ist Mittelmaß.